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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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schrecklich sein zu sehen, wie er sich in die Musik versenkte, wie sein Gesicht ganz starr wurde vor Konzentration. Sie wollte nicht daran erinnert werden, dass er jünger war als sie.
    Sie war sich sicher, dass er ein Geheimnis hatte, und sie wollte es nicht erfahren. Das letzte, was sie wollte, war, in irgendeinen heiklen moralischen Konflikt hineingezogen zu werden. Sie hatte das sichere Gefühl, dass er in der Bredouille war, er war genau in dem Alter, vielleicht zwanzig Jahre jünger als sie, und sie hoffte, dass er sie nicht zu sich hochgebeten hatte, weil er eine Zuhörerin brauchte.
    Sie würde schwelgen. Sie würde verwöhnen. Sie würde später auch ekstatische Schreie ausstoßen, wenn es denn so weit kam, aber sie würde weder beschwichtigen noch trösten, noch Absolution erteilen.
    Was sie wollte, war schweißtreibender, nackter, glitschiger, schneller, langsamer, schmerzhafter, zärtlicher, aufwühlender Sex, und im Hintergrund dazu Wagner.
    Wagner oder die neue Loretta Lynn.
    Sie wollte aus der Reserve gelockt werden, wollte Verzückung, Schläge. Sie wollte federzarte Berührungen und Massageöl, wollte Handschellen. Sie wollte nackt essen und von ihm mit der Gabel gefüttert werden.
    Sie hoffte, dass sie vielleicht einen Joint rauchen würden. Beim Radfahren wirkte er so geistesgegenwärtig. Er war ständig mit dem Rad unterwegs, und sein Körper war makellos. Er hatte lange Gliedmaßen, Schultern wie aus Holz gehauen, trug neue Kleidung.
    Sie hatte den ganzen Winter auf eine abwesende, beiläufige Weise sein Kommen und Gehen registriert – wie man das bei Nachbarn eben tut. Sie hörte ihn abends durch die Wohnung gehen.
    Sie hörte, wenn bei ihm Wasser durch die Rohre strömte, hörte das Klingeln seines Telefons, hörte sein mal versonnenes, mal pathetisches Gitarrenspiel. Wieder und wieder hatte sie »Bridge Over Troubled Water« gehört.
    Sie hatte ihn in der Dunkelheit und im Morgengrauen gesehen. Was sie über ihn wusste, hatte sie im Express gelesen. Er hatte eine Beratungsfirma für Markenentwicklung in New York geleitet. Die Sorte Arbeit, bei der man sich früh zur Ruhe setzt, hatte er gesagt. Dem Artikel zufolge war er ein begeisterter Förderer der Künste. Er hatte einem lokalen Kunstprojekt eine Menge Geld gespendet. Jugendliche Straftäter würden in der ganzen Stadt Wände bemalen. Nein, Straftäter war nicht das Wort, wie hatten sie es genannt? Wie sagte man heutzutage? Koordiniert wurde das Ganze von Gloria Garland. Gloria, die für ihre auf Seide gemalten Bilder von erschlagenen Seehundbabys bekannt war – viel Grau mit roten Klecksen von aufspritzendem Blut – und für ihre Affäre mit einem Bankdirektor.
    Auf der Küchentheke lag ein Kopf Radicchio, und eine Packung Mascarpone hatte sie auch gesehen. Sie gierte nach dem wie auch immer gearteten Essen, das Trevor Barker gerade zubereitete, nach Sex und danach, dass es dunkel wurde, dann konnte er die dicken Kerzen auf dem Kaminsims anzünden, und wenn sie fertig waren, konnte sie einfach mit dem Aufzug zu ihrer eigenen Wohnung hinunterfahren.
    Sie wollte bereits fertig sein. Sie wusste nicht, was sie wollte. Wie irritierend, so aus der Fassung zu geraten. Gerade war sie noch euphorisch gewesen – eine Verabredung mit einem jüngeren Mann –, hatte das schmale Lederriemchen ihres Schuhs durch die kleine Schnalle unter dem Knöchel gezogen, ihr duftiger Rock hatte geraschelt, in der Luft noch ein Hauch des versprühten Parfums. Wie plötzlich ihr unerschütterliches Selbstvertrauen verpufft war. Eben noch da, und weg war es.
    Aber da stand Wein in einem Kühler, sicher eiskalt. Sie wollte keine Beziehung mit Trevor Barker, sie wollte überhaupt keine Beziehung. Was sie eigentlich wollte, war ein geruhsames Telefonat mit ihrem Exmann Marty.
    Sie wollte Marty an seiner Zigarre paffen hören. Sie wollte die Eiswürfel in seinem Glas klirren hören. Sie wollte das Knistern und Rauschen einer Baseballreportage aus den Südstaaten hören, die aus dem leise gestellten Transistorradio auf seinem Schreibtisch drang. One-Night-Stands gibt es nicht, jedenfalls nicht nach ihrer Erfahrung.
    Letzten Winter hatten drei dreizehnjährige Mädchen Autos kurzgeschlossen und waren in der ganzen Stadt damit herumgefahren. Die Polizei folgte einem der Mädchen, das versuchte, seine Verfolger abzuschütteln. An der Kreuzung Topsail Road und Brookfield Road überfuhr sie eine rote Ampel und kurz darauf gleich noch eine, und es brauchte sieben

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