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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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wenn sie erwachte, war sie selig und zu nichts zu gebrauchen.
    Beverly hatte ihre Großmutter geliebt – eine Fischersfrau mit losem, glänzendgrauem Dutt und einem Geflecht feinster Äderchen auf den Wangen. Ihre Großmutter hatte ihr den heißgeliebten Eierbecher kurz vor ihrem Tod vermacht.
    Heute Morgen hatte Beverly Colleen den Eierbecher wortlos hingestellt. Es war ein stillschweigender Vorwurf. Dann hatte sie sich umgedreht und war ans Küchenfenster getreten.
    Colleen klopfte das Ei auf, und das zu weiche Dotter lief signalgelb über den Flügel des Hahns und in den Unterteller. Es würgte sie, doch sie ließ sich nichts anmerken und aß das Ei bis auf den letzten, glibberigen Rest.
    Im ganzen Haus hingen Prismen in den Fenstern. Wenn die Sonne in die Küche schien, warfen sie zitternde Regenbögen auf die weißen Wände und die Chromarmaturen. Beverly hatte 183 dieser Kristallprismen gesammelt, nicht weil sie ihnen irgendwelche mystischen Kräfte zusprach, sondern weil sie hübsch aussahen. Aber an diesem Morgen hatte es keine Regenbögen gegeben. Die Prismen sahen unverschämt normal aus.

Madeleine
    Trevor Barker wohnte in demselben Apartmenthaus in der Military Road wie Madeleine, in einer Wohnung, die kleiefarben und voll grober Faser war. Was gewisse Bedenken hinsichtlich seiner Kochpläne bei ihr weckte. Warum waren sie nicht essen gegangen? Sie hatte zugesagt, als sie die Fenchelknolle in seiner Einkaufstüte sah.
    Seine Haut hatte einen warmen, mediterranen Ton, und er erinnerte sie an Paris, wie sie es mit einundzwanzig erlebt hatte. Ihre Hochzeitsreise mit Marty, und eigentlich war es Marty, an den sie dachte, obwohl sie nicht an ihn denken wollte. Marty hatte wieder geheiratet, ein Kind war unterwegs, und er rief sie jeden Abend an, wenn seine Frau vor Erschöpfung zusammengeklappt war.
    Sie hatten ein Wochenende in Paris verbracht, auf dem Weg nach Deutschland nach einem Monat in Nordafrika, und die Stadt war ihnen schillernd und farbenfroh erschienen. Sie ist seither noch öfter in Paris gewesen, aber wenn sie an die Stadt denkt, dann immer an das Paris ihrer Hochzeitsreise. Ein Lebensmittelhändler, der Eimer voll Tulpen hinausstellte, sie, keck mit einem Baguette posierend, später dann das Schwimmbad an der Seine. Das war vor den Kindern gewesen, als sie und Marty kein Geld hatten und jeden Cent, den sie in die Finger bekamen, ausgaben.
    Sie hatte Trevor ein Fahrrad auf der Schulter tragen und es in den Aufzug bugsieren sehen. Im vergangenen Winter hatte es Tage gegeben, an denen die Arbeit an ihrem Film sie schier zerriss, sie aufwühlte oder in Hochstimmung versetzte.
    Als erstes hatte sie die Finanzierung sicherstellen müssen. Man brauchte ein anständiges Budget, um so eine Idee umzusetzen. Sie konnte sehr überzeugend sein. Sie war trinkfest, trug Rot und Schwarz und klobigen Silberschmuck. Sie hatte immer eine Hasenpfote bei sich, war urkomisch und sexy, wie sie sich mit beiden Händen durchs Haar fuhr und mit leicht geneigtem Kopf aufblickte.
    Sie gab sich nie kokett, denn kokett konnte sie nicht leiden. Aber sie konnte sich ausgebufft, scharfzüngig geben, vulgär. Wenn es sein musste, auch spirituell erleuchtet. Kokett, nie. Mädchenhaft, nie. Hartnäckig, durchaus.
    Madeleine war völlig von ihrem Film durchdrungen, und das blieb während des gesamten Winterdrehs so. Sie hatte Isobel für die Hauptrolle haben wollen. Hatte die Hauptrolle auf Isobel zugeschnitten. Schneestürme, Räumung, eines Nachts wurde ihr Auto abgeschleppt, und dann hieß es auch noch, sie habe ein schwaches Herz, Angina, verstopfte Arterien – man hatte ihr eine Vene aus dem Bein herausoperieren wollen, doch das kam für sie nicht in Frage. Sie konnte sich kaum auf den jungen Kerl konzentrieren, den sie sich als Arzt ausgesucht hatte und der gerade mit dem Kugelschreiber auf eine schematische Darstellung des Herzens tippte, denn sie war berauscht von ihrem Film.
    Sie hatte eine Faust in der Brust, die sich manchmal mit aller Macht zusammenballte. Ihre Tochter Melissa rief aus Europa an, um zu fragen, wie es ihr ging.
    Geh noch mal zum Arzt, Mom, drängte sie.
    Madeleine nahm die Schmerzen in Arm, Nacken und Kiefer wahr, aber sie beachtete sie nicht. Sie hatte aufgehört zu trinken, aß kein Fleisch mehr, bis auf Geflügel, hatte angefangen, Sport zu treiben. Nach ein paar Bahnen im Pool fühlte sie sich wie eine wiedergeborene Christin. Sie hatte diverse Modediäten ausprobiert, Vitamine geschluckt. Auch

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