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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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Grün und Braun und Rostrot aufgeschüttet waren, um irgendwo einen Stand zu finden, wo er ein Thermometer kaufen konnte.
    Als er ihre Temperatur maß, kroch der rote Strich über die höchste Zahl auf der Skala hinaus, und sie redete in Zungen, und er fragte sich, wie er ihren Leichnam nach Kanada zurückschaffen sollte, wenn sie starb, doch am dritten Tag ging es ihr wieder besser, und sie beschlossen, nach Europa zurückzukehren.
    Sie legt den Stift weg, erinnert sich daran, wie erleichtert Marty war, als das Fieber sank. Er hatte geweint, mit zuckenden Schultern. Sie waren noch Kinder gewesen auf dieser Reise, und sie hatten kaum Geld gehabt.
    Wenn Oberlichter erforderlich sind, denkt sie, müssen sie von ihrem eigenen Produzentinnenhonorar abgezweigt werden. Es werde Licht. Sie zerknüllt die Tabelle und druckt eine neue aus.

Frank
    Frank hört, wie jemand ihren Namen sagt, sie dreht sich auf der Tanzfläche um, und ihre langen Haare fliegen von ihren Schultern. Sie heißt Colleen. Sie tanzt mit erhobenen Armen, beißt sich auf die Unterlippe, ihre Augen sind geschlossen, ihr Gesicht schräg nach unten geneigt. Es ist eine Haltung; eine Haltung, die Männer niederknien lässt, diese langsame wellenförmige Bewegung, eine Haltung, die Konzentration und Hingabe ausstrahlt. Ihre Hüften schwingen, und er sieht, dass sie einen münzgroßen Strassstein im Bauchnabel trägt. Die Band spielt »You Can’t Always Get What You Want«, nostalgisch und verbittert.
    Sie trägt Hüftjeans und ein bauchfreies schwarzes Neckholdertop. Wie in Zeitlupe lässt sie die Hüften kreisen, sinnlich und selbstironisch, sie ist dünn, und ihre Hüften sehen im blauen Scheinwerferlicht blass aus. Der Strassstein blitzt ihn lüstern an. Er würde jetzt gerne seine Hände auf sie legen, während sie tanzt.
    Als Zehnjähriger war er einer der Steptänzer seiner Schule gewesen, mit schwarzer Hose und pinkfarbenem Kummerbund, weißem Hemd und Fliege. Seine Mutter klatschte ihm die Haare an, und er tanzte allein in einem Lichtkreis auf der Bühne der Holy-Heart-Aula. Er konnte das Publikum nicht sehen, aber er konnte es in der Dunkelheit hören. Jemand hinter der Bühne sagte ihm, er solle in den Lichtkreis treten, der sich grell von dem verschrammten Bühnenboden abhob.
    Der Lichtkreis war lebendig und unberechenbar.
    Er war wie versteinert, starr vor Angst, umklammerte ein Stück Samtvorhang, war überzeugt, dass der Lichtkreis, wenn er hineinzutreten versuchte, zum Vorhang hinaufsausen und das Publikum in brüllendes Gelächter ausbrechen würde.
    Er hatte ins Publikum hinausgelinst, während Scharen von Kindern, Chöre von der ganzen Insel, auf die Bühne gekommen und wieder abgegangen waren. Dann hatte ihm jemand einen kräftigen Stoß zwischen die Schulterblätter gegeben, und er hatte sich auf der Bühne wiedergefunden.
    Seine Stepschuhe klackerten laut, und er ging bis zum Rand des Lichtkreises vor. Dort blieb er stehen, und das Licht blendete ihn, doch es hielt still. Das Publikum – er spürte eine atmende Masse – war von einem so tiefen, fast greifbaren Dunkel verschluckt, dass er den Drang verspürte, den Lichtkreis auf dem Boden festzuhämmern.
    Was er noch weiß: Er zwang sich zu tanzen. Er wollte nicht tanzen. Er weigerte sich zu tanzen. Aber seine Mutter saß im Publikum, und er würde tanzen.
    Sie hatte ihre Schicht als Begrüßerin bei Wal-Mart getauscht, hatte extra die Schicht an Heiligabend übernommen, damit sie zu dem Konzertabend kommen konnte. Eigentlich hätte sie diesmal an Heiligabend nicht arbeiten müssen, aber sie wollte Franks Auftritt sehen, deshalb tauschte sie mit einer anderen Mutter. Die meisten von ihnen waren alleinerziehende Mütter oder Teenager oder ältere Männer, die irgendeinen emotionalen Zusammenbruch erlitten hatten und deshalb nicht mehr auf ihrer alten Stelle arbeiten konnten. Sie alle arbeiteten bei Wal-Mart, weil sich keine anderen Möglichkeiten aufgetan hatten. Niemand wollte an Heiligabend dort sein.
    Franks Mutter, die auch putzen ging, stand bei Wal-Mart am Eingang, begrüßte die Leute und heftete grüne oder orangefarbene Aufkleber an die Tüten, die sie mit hineinnahmen.
    Sie war von morgens bis abends auf den Beinen und hatte Krampfadern, zickzackförmig verlaufende, auf der straffen, rasierten Haut ihrer Waden leicht erhabene Venen. Ihre Beine waren weiß wie Brot und da, wo sie rasiert waren, wie mit Pfeffer bestreut, und die Krampfadern waren knubbelig und tintenblau.
    Abends

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