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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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badete sie ihre geschwollenen Füße in einer Tupperschüssel mit warmem Wasser und Epsomer Bittersalz. Wenn sie die Schuhe auszog, waren die Struktur ihrer Baumwollsocken und die Lasche des Schuhs als Abdrücke auf ihrer Haut zu sehen.
    Frank sah zu, wie sie die Füße in das dampfende Wasser tauchte. Sie stellte erst den einen Fuß in die Schüssel, hob ihn an, bewegte die knacksenden Zehen und stellte ihn wieder hinein, dann tat sie das gleiche mit dem anderen Fuß, und jedesmal verzog sie das Gesicht, weil das Wasser so heiß war. Frank sah dabei zu, wie sich ihre Füße bis zur Höhe des Wasserspiegels röteten.
    Seine Mutter saß allein im Publikum an jenem Abend, als er zehn war und sich nicht rühren konnte und die Musik bereits begonnen und er seinen Einsatz verpasst hatte.
    Die Musik begann, und dann hörte sie wieder auf.
    Er wäre am liebsten weggerannt, aber seine Füße mit den schweren Stepschuhen waren wie festgenagelt, und dann kam die Musik für ihn zurück.
    Sie kam zu ihm zurück.
    Es war eine Mischung aus Tadel und Trost.
    Aber da war sie, begann von neuem. Er schaute neben die Bühne, wo Dr. Callahan am Klavier saß und ihn mit einem übertriebenen Clownslächeln ansah, einem breiten, hoffnungsvollen, irgendwie unheimlichen Lächeln. Dr. Callahan unterrichtete Volkskunde an der Universität, er hatte früher den Christian Brothers angehört und setzte sich sehr für den Erhalt der alten Volkstänze und Jigs ein. Schweiß rann ihm über das gerötete Gesicht, er hielt die Hände so über die Tasten, dass Frank sie sehen konnte.
    Die Hände waren im Begriff, sich herabzusenken, und Frank musste tanzen.
    Einer von Dr. Callahans Vorderzähnen war grau, und dieser Zahn machte Frank Angst, denn Dr. Callahan hatte gesagt, er sei tot. In diesem Zahn steckte alles: Dr. Callahans Kampf gegen die Verzweiflung, seine privaten, mystischen Auseinandersetzungen mit Gott und seine komplizierte Liebe zum Steptanz.
    Frank beschloss, sich auf einen Teil seiner selbst zu konzentrieren, den es vorher möglicherweise gar nicht gegeben hatte, auf seinen Willen, so denkt er heute, und er befeuerte ihn. Er ließ zu, dass sich so etwas wie Wut oder Feuer in seinem Inneren ausbreitete, und er beschloss, den verdammten Lichtkreis auf den Boden festzusteppen, sodass er sich nie wieder bewegen würde.
    Mit seinen zehn Jahren war er der beste Steptänzer der Provinz, bis ihm Dr. Callahan eine kleine Bartmassage verabreichte.
    Dr. Callahan sagte: Komm, Frankie, du kriegst eine kleine Bartmassage. Er nahm Franks Gesicht zwischen beide Hände, reckte sein unrasiertes Kinn vor und rieb es über Franks Wangen, erst über die eine, dann über die andere, sodass die Haut wund wurde.
    Gut getanzt, Frank, sagte Dr. Callahan. Am nächsten Tag hatte sich an den Stellen, wo die Bartstoppeln Franks Haut aufgescheuert hatten, ein Ausschlag gebildet, seine Mutter sah es im Rückspiegel des Taxis und fragte ihn danach, und als er erzählte, woher der Ausschlag kam, machte der Taxifahrer das Fenster auf und spuckte hinaus. Seine Mutter setzte sich ihre ins Haar geschobene Sonnenbrille auf die Nase, sodass ihre Augen verdeckt waren, sie drehte sich zur Seite, um aus dem Beifahrerfenster zu sehen, und Frank ging nie wieder zum Steptanz.
    Aber er liebte das Tanzen. Nach seinem Tanz im Scheinwerferlicht war es zuerst still, und dann setzte der Beifall ein. Er kam in sich überlappenden Wellen, verschiedenen Klangfarben, ließ nach, schwoll wieder an, wurde lauter und lauter. Er hielt so lange an dort im Dunkeln, dass Frank schon von der Bühne gehen wollte, doch da kam Dr. Callahan herbeigelaufen und stellte sich zu ihm ins Scheinwerferlicht. Der Lehrer nahm seine Hand, hob sie hoch, und der Beifall wurde noch lauter und hielt noch länger an. Franks Mutter war inzwischen von anderen Eltern umringt, die ihr wieder und wieder sagten, wie begabt Frank doch sei.
    Sie kamen kaum aus der Aula, weil sich so viele Erwachsene um seine Mutter drängten und ihr gratulierten und ihm durchs Haar fuhren und sagten, er sei ein braver Junge.
    Er würde gern mit diesem Mädchen tanzen, mit Colleen, das wäre es jetzt. Er hätte gern seine Hand auf ihrem nackten Rücken liegen, zwischen den tiefsitzenden Jeans und dem schwarzen Oberteil, oberhalb der beiden Grübchen über ihrem Hintern.
    Er würde sie gern über eine fast leere Tanzfläche wirbeln, in Mount Pearl oder an irgendeinem anderen Ort, wo sie außer ihm niemanden kennt. An der Bar säße wahrscheinlich

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