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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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Augen verengt, als gälte es eine ernste Angelegenheit zu beurteilen. Sie hatte die Angewohnheit, das Kinn leicht anzuheben und mit halbgeschlossenen Augen auf ihre Noten hinabzuschauen. Ihre Hände waren wie Klauen, steif und überrascht. Die Vibration des Klaviers setzte sich im Wasser des darauf stehenden Fischglases fort, auf dessen Oberfläche sich zitternd konzentrische Ringe ausbreiteten. Der Goldfisch stand reglos mitten im Glas, leuchtend und wachsam. Valentin spürte die Musik durch seinen Ellenbogen, und er verfolgte aufmerksam, wie sie die Augen nun ganz schloss und den Kopf zu wiegen oder herumzuwerfen begann, von irgendeinem inneren Konflikt in Wallung versetzt.
    Einmal hatte sie ihn eingeladen, sich zu ihr in den Garten zu setzen, und ihm ein großes, beschlagenes Glas mit zerstoßenem Eis und Früchten gereicht, ein rosafarbenes, milchiges Getränk, in dem lauter kleine schwarze Kernchen schwebten.
    Eine echte Vitaminbombe, hatte sie gesagt.
    Sie ließ sich in den Stuhl neben ihm plumpsen, und beide schwiegen. Sie hielt das Gesicht in die Sonne, ihre Lippen waren voll und feucht, und sie lächelte vor sich hin. Sie war heiter und gelassen, und das erregte ihn. Er überlegte, ob er sie grob küssen sollte, um sie aufzureizen. Sie trug ein dunkelblaues Kleid mit weißen Tupfen, figurbetont und steif, mit vielen Schnüren und Bändern.
    Sie tat einen tiefen Atemzug und hielt die Luft an, er wartete, und dann stieß sie die Luft wieder aus und sagte ihm, er solle die Schuhe ausziehen.
    Es ist zu heiß für Schuhe, sagte sie. Als er sie ignorierte, kniete sie sich vor ihm ins Gras, sodass ihr geschlitztes Tupfenkleid den Oberschenkel hinaufrutschte und er den Spitzenbesatz ihrer Unterhose sah, die violett war und aus Satin.
    Sie zog ihm Stiefel und Socken aus. Dann knetete sie seine Füße, bis sie schmerzten. Sie bohrte die Fingerknöchel regelrecht hinein, und es tat empfindlich weh.
    Er wusste, dass seine Füße sauber waren, er hatte einen Puder gegen den Geruch benutzt, und es machte ihm nichts aus, dass sie ihn auf diese Weise berührte. Sie presste die Daumen zwischen seine Zehen, kniff die Haut, so fest sie konnte.
    Deine traurigsten Erinnerungen stecken alle in deinen Füßen, sagte sie.
    Das Kleid war offenherzig, und ihr BH hatte die gleiche Farbe wie ihr Slip – wenn er die Augen zumachte, sah er die Farbe hinter seinen Lidern. Es war heiß im Garten, und er dachte an die Zahnarztwitwe, deren Baby die ganze Nacht hinter einem Vorhang geschrien hatte. Er hatte die Muttermilch der Witwe gekostet, hatte an ihren harten Brustwarzen gesaugt, obwohl sie versucht hatte, ihn abzuwehren. Als er am nächsten Morgen aufstand, sah er, dass das Haus nach allen Seiten hin von Lavendelfeldern umgeben war, der Wind trug ihm den Duft zu, und er dachte sich, dass so die Muttermilch der Frau geschmeckt hatte: wie dieser Blütenduft.
    Isobel drückte ihre Daumen in seinen Spann und redete, mehr mit sich selbst als mit ihm – darüber, wie es in St. John’s zuging und womöglich in jeder Stadt der westlichen Welt. Sie redete über ein Innen und ein Außen und sagte, sie stehe außen, habe immer außen gestanden, und dieses Außen sei für Frauen ihres Alters gefährlich.
    Sie sagte, sie hätte auch etwas anderes machen können, aber vielleicht hätte sie tatsächlich auch nichts anderes machen können. Es gebe eine ungeheure Bandbreite an Emotionen, und sie sei ihnen allen irgendwann anheimgefallen. Sie habe das alles gefühlt, das sei ihre besondere Gabe.
    Vielleicht sind wir einfach in einer bestimmten Weise geschaffen, sagte sie. Sie redete und redete, leise und leidenschaftlich, und er konnte ihr nicht folgen. Was sie sagte, entbehrte jeder Logik, oder zumindest erschloss sie sich ihm nicht.
    Sie sagte, sie werde alt, und sie habe nichts auf die Seite gelegt. Sie habe immer darauf vertraut, einfach aufs Leben zu vertrauen. Und tatsächlich habe sich gezeigt, dass es durchaus Vorteile habe, außen zu stehen. Aber er sehe ja, wohin es geführt habe. Sie sei am Ende. Zumindest finanziell. Sie lachte und griff so fest in seinen Fuß, dass er einen Krampf bekam und aufstehen musste, um den Fuß auszuschütteln.
    Sie hatte die Augen mit der Hand beschattet, und als sie zu ihm aufblickte, glänzten ihre Augen zu sehr. Er fühlte sich, als wäre er Tausende von Kilometern über Geröll gelaufen und all die feinen Knöchelchen in seinen Füßen wären zermalmt. Sie sprach vom Schicksal. Er würde niemals akzeptieren,

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