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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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seltsame kollektive Aggressivität, die da hochkocht.
    Jemand wirft eine Getränkedose, sie trifft Frank an der Schulter und fällt zu Boden. Der Barmann fasst Frank am Arm, aber Frank macht sich los und ballt die Fäuste, und jetzt nickt der Barmann dem Türsteher zu, und der tritt vor.
    Eine unbehagliche Stille hat sich in der Bar ausgebreitet.
    Es ist Teil der Show, dieses Vortreten, dieses Präsentieren von vorgereckter Brust, geballter Faust und entschlossener Miene.
    Die Kasse klingelt, die Schublade saust heraus, und die Münzen klimpern. Das alltägliche Geräusch von Geld, das den Besitzer wechselt, jemand erwähnt das Hockeyspiel, und der Moment verstreicht. Alle wenden sich von der Bühne ab, fangen an zu reden, reichen Bier weiter.
    Colleen nimmt Frank bei der Hand, sie bahnen sich einen Weg durch die Menge, auf die Straße hinaus, und sie sagt: Vielen Dank, wer immer du auch bist. Es war bescheuert von mir, das zu machen, diese Wet-T-Shirt-Geschichte. Echt bescheuert.
    Ihre Hand ist nass, ihre Haare, ihr weißes T-Shirt, ihre Brustwarzen sind nass. Ein feuchtes, feines Goldkettchen, kaum fadendick, schmiegt sich in die Mulde an ihrem Hals. Sie hält seine Hand, und er weiß nicht, wo er hinschauen soll. Er weiß, dass er nicht auf ihre Brüste, ihren Mund, ihren Hals, ihre Augen schauen sollte, und er tut genau das. Sie fröstelt, und als er in ihre Augen schaut, steht eine solche Erregung darin, dass er leicht geschockt ist.
    Könntest du mir vielleicht deinen Pullover leihen, fragt sie. So schnell er kann, windet er sich aus dem Pullover. Er reicht ihn ihr, sie verschwindet darin, und dann sagt sie: Riecht gut. Ein schöner Pullover.
    Ich hab eine eigene Wohnung, sagt er.

Frank
    Als Frank begriffen hatte, dass sein ganzes Geld weg war, setzte er Wasser auf, holte den Plastikkaffeefilter heraus und legte eine Filtertüte ein. Er nahm die Zuckerdose, die er im Sally Ann gekauft hatte, aus dem Schrank. Das Stückchen Kreppband, auf dem mit Kuli 25 Cent geschrieben stand, klebte immer noch darauf. An dem Tag, als er die Zuckerdose gekauft hatte, probierte eine Frau dort gerade ein Hochzeitskleid an.
    Sie war mager und hatte vorstehende Zähne, und ihre Gesichtsknochen waren so unproportioniert, dass sie regelrecht deformiert aussah. Die zwei Frauen, die im Sally Ann in der Waldegrave Street arbeiteten, freuten sich über die Hochzeit, offenbar kannten sie den Bräutigam, den sie Johnny nannten und der geistig behindert zu sein schien.
    Frank entdeckte die Zuckerdose in einer Wühlkiste mit Küchenkram – Löffel mit kleinen Emaillebildchen von Prince Edward Island, rostige Schöpfkellen, ein Spaghettisieb aus Plastik, das jemand zu nah an die heiße Herdplatte gestellt hatte, sodass es an der Seite geschmolzen war.
    Die Zuckerdose war aus Kristallglas, seine Mutter hatte vier Weingläser mit dem gleichen Windradmuster gehabt; ein Weihnachtsgeschenk von jemandem, bei dem sie geputzt hatte.
    Jetzt pulte er das Kreppschildchen ab, und ein schmieriger grauer Rückstand in der Form des Schildchens blieb zurück, den er mit dem Daumen abrieb, sodass sich ein Kügelchen bildete, das er wegschnipste. Irgendwie führte ihm dieses Wegschnipsen vor Augen, wie unendlich allein er auf dieser Welt war, denn es sah absurd aus, wie er das tat, doch es war niemand da, der es hätte sehen können.
    Im Heilsarmeeladen damals im Januar hatte er in einem Karton mit Einzelteilen nach einem Deckel für die Zuckerdose gewühlt; er wusste, dass sie einen Deckel haben sollte, und war selbst überrascht, wie sehr er einen Deckel wollte. Er wollte niemand sein, bei dem die Deckel fehlten. Er wollte, dass alles, was er besaß, komplett war, sonst wollte er es gar nicht erst haben.
    Er wollte, als er ins Farbengeschäft ging, genau die Farbe für die Zierstreifen, die angeblich besonders gut zu dem Umbra passte, das er sich als Wandfarbe ausgesucht hatte. Und als er diesem Idioten, der dort arbeitete, in die Augen schaute, während der ihm erklärte, genau diese Farbe könne er nicht mischen, wohl aber eine, die ziemlich nah dran sei, wollte er ihn am Hemd packen und ihn anschreien, nah dran wolle er nicht.
    Er wollte nie wieder nah dran. Er hatte sich sein Leben lang mit nah dran begnügen müssen.
    Er wollte dem Burschen vermitteln, wie wütend ihn solche halben Sachen machten und dass er gefälligst zusehen sollte, dass er die richtige Farbe zusammengemischt bekam.
    Die eine der Frauen im Sally Ann hieß Gert, die andere Shirley,

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