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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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Sie sah sich selbst, als schaute sie von der Decke herunter, ihren Bernsteinanhänger, ihre rosarote Bluse. Sie rührte in ihrem Kaffee.
    Der Premierminister legte sein Messer ab. Er hatte die Augen geschlossen und nickte, als wollte er sich bestätigen, wie recht er doch hatte mit dem, was er gerade dachte. Er hatte soeben einen kleinen Beschluss gefasst.
    Wegen Ihres Films, sagte er.
    Sie hatte in einem Schloss in Irland Martinis getrunken – wie lang war das her? Ein Jahr? Ein kalter Schieferboden, und im Kamin hatte ein Feuer gebrannt, das eine geballte, fast greifbare Hitze aussandte. Sie war als Mitglied eines internationalen Gremiums von Filmemachern dort, und der Ire mit fleckigem Gesicht und weißem, an den Spitzen gewachstem Zwirbelbart, der neben ihr saß, dieser Ire hatte einen Bruder, der in Österreich einen Reitstall führte.
    Ein Mann mit einem Jahreseinkommen von 27 Millionen Dollar, ein Förderer der Künste. So rechtfertigte sie die Hand des Iren auf ihrem Knie: weiße Hengste. Wie konnte man nur einen Zwirbelbart tragen? Sie hätte am liebsten mal kräftig an den Enden gezogen.
    Ich denke, da lässt sich etwas machen, sagte der Premierminister. Lassen Sie mich rasch ein paar Zeilen schreiben. Wir können uns auf jeden Fall mit einem Transportunternehmen in Verbindung setzen. Ich kann diese Pferde hierher holen.

Colleen
    Vor dem Eingang gab es einen Türsteher, der die Ausweise kontrollierte, doch er ließ Colleen und ihre Freundinnen rein, weil Colleen sich mit einem Döschen Lipgloss vor ihn hinstellte. Sie schraubte den Deckel auf und stippte mit ihrem kleinen Finger in das Gloss, hinter ihr drängelten die Leute, und sie ließ sich von ihnen an die Tischkante pressen. Es war laut und verqualmt, und der Türsteher hatte Bodybuilder-Muskeln, war aber unattraktiv, und sie fuhr sich ganz langsam, betrunken, mit dem kleinen Finger erst über die Oberlippe, dann über die Unterlippe, und dann presste sie die Lippen aufeinander und ließ einen lauten Schmatzer hören.
    Es war ein genüsslicher Schmatzer, und sie beugte sich zu dem Türsteher vor, ihr Busen über dem Tisch, unglaublich, wie viel Spaß es machte, einen hässlichen Türsteher anzubaggern, damit er sie reinließ und sie an einem Wet-T-Shirt-Contest teilnehmen konnte, was sie wollte, weil sie hackevoll war und große, schöne Brüste hatte und vielleicht tausend Dollar gewinnen würde. Sie war sehr betrunken und wollte an den äußersten Rand einer Wut gelangen, die sie nicht beschreiben konnte, weil sie ihr neu war. Im Fenster hing ein Schild, auf dem Open stand, das hellgrüne Licht jagte immer wieder durch die Leuchtröhre, und Colleen fand, dass es der Wut glich, die sie verspürte, eine aufwallende, ernüchternde Wut voller Neon. Sie wollte etwas Verbotenes tun. Es kam ihr komödiantisch vor, sich vor einer Zuschauermenge zu entkleiden – alptraumhaft und albern zugleich. Es war ein banaler Akt, der sie womöglich verändern würde. Es war nichts von alledem. Sie wollte einen Teil ihrer selbst abschütteln. Sie wollte Spaß haben. Colleen hatte den ganzen Juli hindurch darauf gewartet, dass der Diversionstermin endlich vorbei war, und jetzt würde sie den ganzen August über Wände bemalen, um Mr. Duffy zu versöhnen, und das kotzte sie an. Sie war mit Sherry Ryan und einer Freundin von Sherry unterwegs, die sie gerade erst kennengelernt hatte, Leslie, und Jennifer Galway wollte später zu ihnen stoßen. Sherry Ryan hatte einen neuen Irokesenschnitt und ein Tattoo der örtlichen Punkband Beaumont Hamel auf der Schulter – sie war in den Leadsänger verknallt –, aber sie fand, dass Colleen diese Wet-T-Shirt-Geschichte lieber bleiben lassen sollte.
    Das ist irgendwie erniedrigend, hatte Sherry durch den Lärm geschrien, die gewölbte Hand am Mund.
    Was?, hatte Colleen zurückgeschrien.
    Erniedrigend, rief Sherry.
    Was? Sherry verdrehte nur noch die Augen.
    Colleen würde das Wet-T-Shirt-Geld nehmen und am nächsten oder übernächsten Morgen ins Flugzeug steigen. Sie wollte nach Louisiana und den Alligatoren-Typ aus Madeleines Film kennenlernen. Wollte sich seinen kleinen Betrieb mal anschauen. Alligatorenrettung: Da gab es sicher was zu sehen. Mit dem Preisgeld für schöne Brüste würde sie weit kommen.
    Sie lächelte den Türsteher mit ihren hübschen Zähnen an, die kürzlich von Jahren der Zahnspangen, Gummis und Beißschienen erlöst worden waren, und griff, halb im Spaß, halb im Ernst, auf die gesammelten Erkenntnisse aus

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