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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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ein Hauch von Selbstzweifel wegen der Bulldozer einstellte. Vielleicht war das doch nicht richtig gewesen. Oder sie weinte, weil Frank keine Ahnung hatte, wie verletztlich er war. Franks Unschuld war bestürzend und sehr sinnlich, und sie verspürte den Drang, sie so schnell wie möglich zu zerstören.
    Am nächsten Morgen, als Frank noch schlief, zog sie leise ihre Socken an und angelte dann unter dem Nachttisch nach ihren Schuhen. In ein paar Stunden stand das erste Wandmalerei-Treffen für jugendliche Straftäter an, und sie war immer noch leicht betrunken. Sie fasste in eine Spinnwebe und stieß dann auf einen dicken weißen Umschlag, den sie hervorzog und öffnete. Er enthielt fünfundzwanzig Hundert-Dollar-Scheine. Sie zählte sie ganz vorsichtig, damit das Papier nicht raschelte.
    Sie schob sich den Umschlag vorn in die Jeans, sodass ihr eine der harten Ecken in den Bauch stach. Als sie sich bückte, um ihre Schuhe aufzuheben, schwankte das Zimmer. Sie richtete sich rasch auf, die Schuhe vor der Brust. Das Zimmer schwankte erneut und drehte sich leicht. Ein Ruck, und es beruhigte und benahm sich wieder.
    Der Türriegel quietschte. Franks Gesicht war ihr zugewandt, er hatte sehr dunkle Wimpern und lag in einem tiefen, vertrauensvollen Schlaf. Er war vollkommen erschöpft, seine Wangen waren gerötet, und sie dachte sich, dass er ein einsamer Junge war, einsamer als jeder andere junge Mann, den sie kannte.
    Er hatte so aufmerksam zugehört, als sie nachts geredet hatte. Sie hatte sich auf sein Bett plumpsen lassen, und es hatte heftig gewabbelt. Sie hatte mit beiden Armen auf das Wasserbett gehauen und die Wellen gespürt.
    Ich bin mal fast geköpft worden, hatte sie fröhlich verkündet. Sie erzählte Frank, wie sie mit sieben oder acht bei irgendeinem offiziellen Anlass im Confederation Building gewesen war, Teil eines Trupps überhitzter Pfadfinder, und dort hatte ein älterer Herr, ein ehemaliger Soldat in voller Montur, ein Zeremonienschwert gezogen, das jedoch zu schwer für ihn war, sodass es ihm über die Schulter fiel und ihr vermutlich fein säuberlich den Kopf abgeschlagen hätte – sie stand direkt hinter dem alten Mann, in ihrem braunen Pfadfinderkleidchen mit all den tollen Aufnähern –, wenn nicht ihre Mutter, die immer überfürsorglich und hingebend gewesen war, sie im letzten Moment noch weggerissen hätte.
    Ich glaube, die Pilze fangen an zu wirken, hatte sie geflüstert.
    Sie öffnete die Tür ganz langsam, die Schuhe immer noch an die Brust gedrückt. Die Scharniere jaulten auf. Sie hörte ein Schwappen und blieb wie angewurzelt stehen, hielt sogar die Luft an, und dann war sie im Hausflur und ging die Treppe hinunter. Sie hatte sich, dachte Colleen, in Gefahr begeben und sich dann aus der Gefahr befreit. Sie testete gern aus, mit was sie durchkam, wie weit sie gehen konnte. Diesmal bist du zu weit gegangen, Fräulein . Eier mit Speck, das wollte sie jetzt. Erst als sie um die Ecke gebogen war, zog sie sich die Schuhe an.
    Sie wollte ins Bagel Café, im Hafen lag noch das Kreuzschiff vor Anker, und sie sah ein Partyhütchen im Rinnstein liegen. Ein silberner Pappkegel, mit lauter kleinen Geburtstagstorten bedruckt. Das Hütchen rollte im Wind hin und her und blitzte in der Sonne weiß auf. Es sah aus wie eine Narrenkappe, und sie hatte mit einem Mal heftige Gewissenbisse, weil sie Franks Geld geklaut hatte. Ein verzehrender Selbsthass, der Wunsch nach unmittelbarer Vernichtung, einem Spurlos-Hinweggefegtwerden. Das Gefühl schien unüberwindbar. Sie war mitten auf dem Bürgersteig stehengeblieben, und die Leute in den vorbeifahrenden Autos sahen ein zerzaustes, erschöpftes Mädchen, das vor sich auf den Boden starrte, stocksteif und wie angewurzelt, die Hände in den Haaren vergraben.
    Sie hielt den Gewissensbissen stand. Sie machte die Augen zu, wie sie es bei ihrer Mutter gesehen hatte, wenn diese mit ihren eigenen Charakterschwächen kämpfte. Wenn sie irgendetwas von ihrer Mutter gelernt hatte, dann war es, sich nicht in Selbstzweifeln zu suhlen. Zweifel waren ihrer Mutter zufolge ein Luxus, und es war immer besser zu handeln, auch wenn man sich seiner Sache nicht sicher war. Sie würde ausgiebig frühstücken, sie war am Verhungern, und dann würde sie zu dem Wandmalertrupp im Murphy Centre gehen. Sie konnte weder an Frank noch an die Fichtenmarder, noch an sonst irgendwas denken, ehe sie nicht vollkommen nüchtern war.

Frank
    Es war fast Mitternacht, als Carol am Hotdog-Stand

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