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Im Rachen des Alligators

Im Rachen des Alligators

Titel: Im Rachen des Alligators Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Moore
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sie miteinander geschlafen hatten, sie hatte es gespürt und er auch, denn ihre Augen waren aufgeflogen, und seine waren schon offen und er sah es. Sie hatten es beide gespürt, und deswegen hatte sie auch das Geld genommen, mal abgesehen davon, dass es sehr viel Geld war. Sie erhob sich von der Couch.
    Wo gehst du denn hin?, fragte Fitzy.
    Raus hier, sagte Colleen, worauf du dich verlassen kannst.

Isobel
    Wellen legen ohne jede Anstrengung weite Strecken zurück. Sie überschlagen sich, weil sie nicht anders können. Denn wenn eine Welle einen Tritt in den Bauch kriegt, sackt sie in sich zusammen. Denn eine Welle ist nur schöner Schein, ohne etwas dahinter. Vor ihr ergießt sich das gerinnende Erbrochene. Schaum kritzelt in den Sand, dass es mit der Welle vorbei ist. Denn das Wasser gleißt in Sanskrit. Denn das Meer riecht nach Meer, und ihr Kleid ist schon nass und klebt ihr an den Beinen. Denn sie findet es richtig, sich zu fügen, hat es nachgerade zur Religion erhoben. Denn ein fetter rothaariger Mann, blass wie eine Kartoffel, pest gerade mit einem aufblasbaren Hai durch die Wellen. Denn das Theater ist ein Kult, und die Leute opfern ihr ganzes Leben der Sache, die noch gleich was war? Denn Parfum klingt gut jetzt gerade, und Geldverdienen klingt auch gut. Sich keine Gedanken ums Geld machen müssen, klingt gut. Denn nur Frauen, die wieder und wieder und wieder gekommen sind oder massive Silberarmbänder tragen oder einen Geliebten verloren haben oder Weitblick besitzen oder alles verloren haben oder wissen, wie man sich im Rampenlicht fühlt, könnten sie ansatzweise verstehen, und diese Frauen gibt es nicht mehr.
    Denn sie hat alles aufgegeben und ist nach Neufundland zurückgekehrt. Denn da war gar nichts, was sie hätte aufgeben können. Denn sie hat sich schon früh in Chris verliebt, der sie vom rechten Weg abgebracht hat. Chris Morgan, der mit ihr Langlauf gemacht hatte, mit einem Kompass hatten sie den Weg zurück in die Zivilisation gefunden. Er hatte den Kompass bei einem Trödler entdeckt und mit der Axt daraufschlagen müssen, damit die Nadel sich bewegte. Chris, der ihnen ein Abendessen aus einem Eisloch gezogen und einen Iglu gebaut hatte, in dessen Mitte ein Feuer brannte, sodass sie nachts schweißgebadet die Decken wegstrampelten und nackt schliefen, Chris der sie auf alle erdenklichen Weisen geliebt hatte, und dann war das Dach eingestürzt. Schneeblöcke fielen ihnen auf den Kopf.
    Chris, der lächerlich, vital, ständig spitz war, ein Lügner und Betrüger, der ein photographisches Gedächtnis hatte, der immer wusste, welches Regime gerade wo gestürzt worden war, was die wichtigsten Exportgüter des jeweiligen Landes waren und in welchem Verhältnis diese Länder zu den Frühstücksflocken standen, die sie gerade löffelte, Chris, der unbezähmbar war und sie mit Tahini und Tarkovsky bekannt gemacht hatte, der voller Wachsamkeit Agnostiker war, denn da er eine natürliche Neigung zum Glauben hatte, war Wachsamkeit vonnöten.
    Und es war Isobel unmöglich, nicht an ihn zu denken, wenn sie das massive Silberarmband um ihr Handgelenk schloss, das Armband aus Mexiko. Sie hatten bei einem unbedeutenden Politiker, den sie beim Trampen kennengelernt hatten, draußen im Garten ein Dampfbad genommen. Es war ein Natursteinbecken, das von einer heißen Quelle gespeist wurde, und sie waren zu siebt oder acht. Der Dampf stieg auf und zerfaserte in der Nachtluft, sein nackter Oberschenkel stieß inmitten des heißen Geblubbers und der aufsteigenden Wasserblasen gegen ihren, und sie liebte ihn. Oder sie liebte etwas so Gewaltiges, dass er es sein musste, und später lag das Armband auf ihrem Kissen.
    Sie war nach Neufundland zurückgekehrt, weil sie gescheitert war. Sie hatte die Rolle in der Vorabendserie nicht bekommen, und Chris, mein Gott, Chris führte jetzt bei einer Vorabendserie Regie.
    Die Vorfeude auf die heranjagende Masse der nächsten Welle, die kalt ist, hüfthoch, sich triumphierend aufbaut, ist gewaltig, und wenn diese Welle sie trifft, geht sie ganz rein. Als atmete die Welt aus. Ein Einhämmern der Wahrheit. Die Weigerung, eine Welle zu bleiben. Die Welle akzeptiert die Absurdität des Welleseins, aber sie erkennt den Strand auch als das, was er ist: die Abrechnung. Wer hat behauptet, es würde ewig währen?
    Niemand.
    Das Gegenteil wurde behauptet.
    Keine Kälte auf dieser Welt ist so unzweideutig wie diese Welle, die sie jetzt überragt und gleich gegen ihren Schädel schmettern

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