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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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war erleichtert, das zu hören. Inzwischen sah man in Richtung der Five Points Brände.
    »Es kann jetzt nicht mehr lange dauern«, sagte er zu seiner Familie. »Als Nächste sind wir dran.«
    Eine Viertelstunde später betrat eine kräftige Gestalt mit dem Gesicht eines Abenteurers und einem buschigen, herabhängenden Schnurrbart mit langen Schritten das Lokal. Sean lächelte.
    »Mr Jerome. Was darf’s sein?«
    Sean mochte Leonard Jerome. Der wagemutige Geschäftsmann stammte zwar nicht aus Five Points, aber er besaß die Instinkte und den Mut eines Straßenkämpfers. Er verkehrte hauptsächlich mit den reichen Freunden des Sports wie August Belmont und William K. Vanderbilt. Doch Jerome hatte auch eine Schwäche für Zeitungen und Zeitungsleute, und es ging das Gerücht, er habe in Zeitungen investiert. Und er ließ sich von Zeit zu Zeit im Saloon sehen.
    Einmal wollte Sean wissen, woher seine Familie stamme.
    »Mein Vater hieß Isaac Jerome, deswegen behauptet Belmont, ich müsse Jude sein.« Jerome lachte. »Natürlich darf man nicht vergessen, dass Belmont von Haus aus Schönberg hieß und sich seinen vornehmen Namen erst hier in New York zulegte. Aber die Wahrheit ist weniger interessant. Die Jeromes waren französische Protestanten. Hugenotten. Kamen im 18. Jahrhundert nach Amerika. Größtenteils Landwirte und Provinzadvokaten, bis auf den heutigen Tag.« Er grinste. »Die Familie meiner Frau schwört allerdings, wir hätten auch Irokesenblut.«
    »Glauben Sie daran?«
    »Ein Mann, Sir, sollte immer seiner Frau glauben.«
    Jetzt antwortete er auf Seans Frage nach seinen Wünschen: »Whiskey, Mr O’Donnell. Einen großen. Ich habe eine anstrengende Nacht vor mir.«
    »Sie erwarten Ärger?«
    »Ich rechne damit, dass die mein Haus anzünden – noch haben sie es nicht getan, aber sie sind schon auf dem Marsch hierher. Sie sollten besser Ihren Nigger verstecken.«
    »Schon passiert. Glauben Sie, die werden sich auch das Lokal vornehmen?«
    »Wahrscheinlich nicht. Worauf sie es abgesehen haben, sind die abolitionistischen Zeitungen wie die Times und andere.« Er kippte seinen Whiskey hinunter und bedachte Sean mit einem koboldhaften Grinsen. »Wünschen Sie mir also Glück, Mr O’Donnell. Ich mache mich auf, die Pressefreiheit zu verteidigen.«
    »Wie wollen Sie das anstellen?«, fragte Sean, als Jerome bereits auf die Tür zuging.
    Jerome drehte sich um. »Ich hab mir eine Gatling Gun besorgt«, antwortete er. Und dann verschwand er.
    Eine Gatling Gun. Gott allein wusste, wie er daran gekommen war. Selbst die Armee setzte das jüngst patentierte Repetiergeschütz bislang kaum ein. Mit seinem schnell rotierenden Laufbündel konnte es ein verheerendes Dauerfeuer abgeben, mit dem sich jede Menschenmenge niedermähen ließ. Mit Jerome, dachte Sean, sollte man sich also besser nicht anlegen. Der wusste, wie man unfair kämpfte.
    Jetzt überprüfte er noch einmal alle Fensterläden, nur die Tür ließ er offen. Sollten die Randalierer Durst bekommen und nicht an die Tränke können, würden sie wirklich sauer werden.
    Er war bloß froh, seine Schwester Mary auf Coney Island in Sicherheit zu wissen.
    *
    Der Montag hatte für Mary angenehm begonnen. Als sie zum Frühstück heruntergekam, saß Gretchen schon am Tisch und unterhielt sich mit einer anderen Mutter. Als Mary sich zu ihnen setzte, sagte Gretchen gerade, der Junge der Frau sehe ihrem eigenen Sohn recht ähnlich, und schon bald kreiste das Gespräch allgemein um das Thema Mutterschaft. Die Dame fragte Mary, ob sie Kinder habe, worauf diese antwortete: »Nicht, solange ich nicht verheiratet bin.«
    »Völlig richtig«, sagte die Dame lachend.
    Dann kam auch Theodor herunter.
    Am Vormittag gingen sie wieder baden. Diesmal arbeitete sich Mary mithilfe des Sicherungsseils so weit hinaus, bis das Wasser ihr über die Brust reichte, und schwamm weiter fast bis zum Absperrseil. Und während sie dort herumpaddelte, überholte Theodor sie, tauchte unter dem Seil hindurch und schwamm mit kräftigen Zügen weiter hinaus ins offene Meer. Er blieb ziemlich lange dort draußen. Mary und Gretchen saßen schon nebeneinander im Sand, als er triefend aus dem Wasser stieg.
    »Höchst belebend«, sagte er lachend und fing an, sich mit einem Handtuch abzureiben.
    Beim Mittagessen fragte Theodor, ob sie heute wieder zeichnen würde, und sie sagte Ja, warum nicht. Nach der Mahlzeit ging sie hinauf, um ihren Zeichenblock zu holen. Als sie wieder herunterkam, redeten Gretchen und

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