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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Sonne tut dir gut. Ein bisschen Sonne jedenfalls. Wenn ich so in der Sonne liege«, sagte er zufrieden, »komme ich mir vor wie eine Eidechse.«
    Sie lachte. »Ich habe gerade an Eidechsen gedacht, als du gekommen bist.«
    »Da siehst du«, sagte er. »Große Geister denken gleich. Oder vielleicht Eidechsen.«
    Sie legte sich zurück. Sie war ganz allein, lag neben einem Mann, aber keiner sah das.
    Deswegen leistete sie auch keinen Widerstand, als er sich auf die Seite rollte und sie sanft küsste. Sie ließ ihn gewähren. Und als er sagte: »Du bist wunderschön, Mary«, hatte sie das Gefühl, es wirklich zu sein.
    Und bald begann er, sie auf eine Weise zu küssen, wie sie noch nie zuvor geküsst worden war. Er erkundete ihre Lippen und ihre Zunge, und da ahnte sie, dass dies der Anfang von etwas war, was sie nicht tun durfte. Trotzdem ließ sie ihn gewähren, und schon bald antwortete ihr Körper, und sie spürte, dass ihr Herz immer schneller und schneller schlug. »Was, wenn jemand uns sieht?«, keuchte sie.
    »Es ist meilenweit keiner da«, erwiderte er. Dann wurden seine Küsse leidenschaftlicher, und sie wurde so erregt, dass sie, wenngleich sie wusste, dass es falsch war, sich wünschte, er würde weitermachen. Und warum auch nicht, sagte sie sich. Denn wenn nicht jetzt, würde es vielleicht niemals geschehen.
    Sie konnte ihn spüren, hart an ihrem Leib. Er fing an, ihr Kleid aufzuknöpfen. Ihr Atem kam in kurzen, keuchenden Stößen.
    Plötzlich Gretchens Stimme. Gretchens Stimme vom Strand her. Gretchens Stimme, die immer lauter wurde.
    »Mary?«
    Theodor stieß einen Fluch aus und riss sich von Mary los. Einen Moment lang lag sie so da und fühlte sich verlassen. Dann rappelte sie sich in plötzlicher Panik auf, ging hinter Theodor in Deckung, hob ihren Zeichenblock auf, schnappte sich ihren Strohhut und stülpte ihn sich auf den Kopf. Sodass Gretchen, als sie ein, zwei Augenblicke später über die Düne kam, Mary vielleicht ein bisschen zerzaust, aber ruhig an ihrer Zeichnung arbeiten sah, während ihr Bruder, ein paar Yard von ihr entfernt, die Schwester mit dem starren, unbeweglichen Blick einer Schlange fixierte, die zum Zustoßen bereit ist.
    »Hallo, Gretchen«, sagte Mary gelassen. »Warum machst du nicht mit Theodor einen kleinen Spaziergang, bis ich mit meiner Skizze fertig bin?«
    *
    Es war schon später Nachmittag, als sie zum Gasthof zurückkehrten. Sie hatten kaum gesprochen. Doch als sie eintraten, berichtete ihnen einer der Gäste, es habe diesen Vormittag Unruhen in Manhattan gegeben. Die Nachricht sei mit der Nachmittagsfähre gekommen.
    »Was ist passiert?«, fragte Theodor.
    »Das Einberufungsamt an der 47th ist angegriffen worden. Offenbar in Brand gesteckt.«
    Nach dem Abendessen teilte ihnen der Gastwirt mit, es habe am Nachmittag weitere Unruhen und mehrere Brände an verschiedenen Stellen gegeben.
    »Der Telegraf funktioniert nicht«, berichtete er, »deshalb wissen wir keine Einzelheiten. Aber es ist wahrscheinlich nichts Ernstes.«
    Der Tag war heiß und feucht gewesen. Hier draußen hatte die Feuchtigkeit dank der Brise vom Atlantik nicht weiter gestört, aber drüben, in den Straßen von New York, musste sie recht unangenehm gewesen sein. Und selbst auf der Veranda, wo sie nach dem Abendessen saßen, begann die Luft sehr drückend zu werden.
    Nach kurzer Zeit ging Gretchen für ein paar Minuten ins Haus.
    »Ich gehe ein bisschen spazieren und mir das Meer ansehen«, verkündete Theodor, während er eine Zigarre hervorholte.
    »Ich komme mit«, sagte Mary.
    Am Strand war es still.
    »Schade, dass Gretchen gekommen ist«, sagte Mary.
    Theodor nickte. »Ja.«
    »Bleibst du noch ein paar Tage?«
    »Ich würde gern«, sagte er. »Auch wenn im Atelier Arbeit auf mich wartet.«
    »Oh«, sagte Mary.
    Sie starrten hinaus übers Wasser. Wolkenbänke sammelten sich am Horizont, Regen und Linderung verheißend.
    »Wir werden sehen, was das Morgen bringt«, sagte Theodor.
    An dem Abend legten sich Gretchen und Mary wie gewohnt zu Bett. Gretchen sagte nichts mehr über ihren Bruder. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit befürchtete Mary, gleich weinen zu müssen. Sie war froh, dass es wenige Augenblicke zuvor angefangen hatte zu regnen und das Geprassel draußen jedes Geräusch übertönen würde.
    Es war tiefe Nacht, als sie aufwachte und merkte, dass Gretchen nicht da war. Sie spitzte eine Zeitlang die Ohren. Nichts zu hören. Sie stand auf und ging ans Fenster. Der Regen hatte aufgehört,

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