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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Park inzwischen durch Haubitzen geschützt wurde.
    Die schrecklichen »Einberufungskrawalle« von 1863 neigten sich dem Ende zu.
    Es war Mittag, als das Stubenmädchen mit einem Teller Suppe in ihr Zimmer kam, sich an ihr Bett setzte und zu schwatzen anfing. Von ihr erfuhr Mary, was in ihrer Abwesenheit geschehen war – dass erst Mr Master und dann auch Mrs Master verschwunden waren und Letztere versucht hatte, das Waisenhaus zu retten, und dabei um ein Haar umgebracht worden wäre, ehe sie von ihrem Mann und Madame Restell gerettet wurde. Diese erstaunlichen Neuigkeiten hatten zumindest die Wirkung, dass Mary sich im Bett aufrichtete.
    »Und, haben Sie etwas erlebt?«, fragte das Stubenmädchen.
    »Ich?«, sagte Mary. »Ach, nein. Nichts von Belang, würde ich sagen.«

MONDSCHEINPSALM
1871
    Wenn es mit Theodor Keller in den acht Jahren nach seinem Aufenthalt auf Coney Island beruflich recht steil bergauf gegangen war, so hatte er dies vor allem zwei Umständen zu verdanken. Einmal der Tatsache, dass er am Ende des Sommers der blutigen Unruhen beschlossen hatte, nach Süden zu fahren, um den weiteren Fortgang des Bürgerkriegs zu dokumentieren. Und zweitens Frank Masters Gönnerschaft.
    Und dennoch stand er jetzt – an einem warmen Nachmittag im Oktober, unmittelbar vor der Eröffnung der wichtigsten Ausstellung seines Lebens, in der prächtigen Galerie unweit des Astor Place, die Master für diesen Anlass angemietet hatte – kurz davor, seinem Gönner gegenüber die Beherrschung zu verlieren.
    »Sie werden alles ruinieren!«, schrie er entnervt.
    »Hören Sie auf mich«, sagte Master bestimmt, »Sie müssen es machen!«
    Eine Meinungsverschiedenheit hatten sie bereits hinter sich. Theodor war zwar einverstanden gewesen, als Master den Vorschlag gemacht hatte, eines seiner Lichtbild-Porträts von Lily de Chantal in die Ausstellung aufzunehmen; doch als sein Gönner ihm entschieden davon abgeraten hatte, Madame Restells Porträt aufzuhängen, war Theodor in Rage geraten.
    »Das ist eines der besten Bilder, die ich je gemacht habe«, protestierte er.
    Das Porträt Madame Restells war ein Meisterwerk. Er hatte sie zu Hause aufgesucht, dort einen riesigen, verschnörkelten Sessel entdeckt und sie darauf platziert wie eine Kleopatra auf ihrem Thron. Mit ihrem großen, wuchtigen Gesicht hatte sie, furchterregend wie ein Minotaurus, streitbar in die Kamera gestarrt. Selbst General Grants Porträt wäre, neben ihrem aufgehängt, gleichsam von der Wand gefegt worden.
    »Theo«, redete Frank Master ihm zu, »diese Frau hat mittlerweile einen so schlechten Ruf, dass sich nicht mal ein Interessent für das Grundstück neben ihrem Anwesen findet – und das, wohlgemerkt, an der Fifth Avenue! Niemand will da wohnen. Wenn Sie ihr Bild aufhängen, werden Sie nie wieder einen Auftrag bekommen.« Selbst Hetty Master gab ihrem Mann widerwillig recht.
    Als Madame Restell erfuhr, dass ihr Porträt nicht ausgestellt würde, schäumte sie vor Wut.
    Aber es gab noch weitere Exponate, die Master Sorge bereiteten: die politischen Photographien.
    »Seien Sie vorsichtig, Theo«, sagte er. »Ich möchte nicht, dass Sie sich selber schaden.« Es war vielleicht ein weiser Ratschlag, doch Theodor pfiff darauf und weigerte sich nachzugeben.
    »Ich zeige die Wahrheit«, beharrte er. »Das ist das, was Künstler tun.«
    Und in dem Punkt fand er eine unerwartete Verbündete. Hetty Master. »Er hat völlig recht«, sagte sie zu ihrem Ehemann. »Er sollte jede Photographie ausstellen, die ihm gefällt. Ausgenommen vielleicht die von Madame Restell.«
    Der unerwartete Wunsch Masters, als schon die ganze Ausstellung fertig aufgehängt war, versetzte Theodor in blanke Wut. Und dass sein Gönner kurz darauf in der Galerie erschien, um seine Argumente darzulegen, machte die Sache auch nicht gerade besser. Ganz im Gegenteil.
    »Denken Sie doch einmal darüber nach!«, rief Frank enthusiastisch aus. »Die drei zusammen an einer Wand: Boss Tweed links, Thomas Nast rechts und dieses Bild vom Gerichtsgebäude, das Sie mal gemacht haben, direkt unter den beiden. Oder auch darüber, wenn es Ihnen lieber ist«, fügte er konziliant hinzu.
    »Aber die Bilder sind völlig uninteressant«, protestierte Theodor. Die drei aus den Tausenden seiner Sammlung ausgewählten Photographien waren durchaus solide Arbeiten, mehr allerdings nicht.
    »Theodor«, sagte Frank Master so geduldig, als spräche er mit einem Kind, »Boss Tweed ist heute verhaftet worden.«
    *
    Wenn die

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