Im Rausch der Freiheit
Gott, Sean, denk nicht mal an so was!«
»Liebst du ihn?«
»Er ist sehr gut zu mir.«
»Wenns ein Kind gibt, muss er dich heiraten, Mary. Ich werde nichts anderes dulden.«
»Sean, ich will nicht, dass du dich in mein Leben einmischst. Ich bin für die Sache ebenso verantwortlich wie er. Wenn du so weitermachst, will ich dich nicht mehr sehen. Das ist mein Ernst.«
Das brachte Sean erst mal kurz zum Schweigen.
»Wenn du je in Schwierigkeiten geraten solltest, Mary«, sagte er dann sanft, »möchte ich, dass du zu mir kommst. In meinem Haus ist immer ein Platz für dich.« Er schwieg wieder. »Nur eines musst du mir versprechen. Du wirst nie ein Kind weggeben. Niemals. Ich würde für jedes Kind sorgen.«
»Du darfst Theodor nichts antun – er trägt keine Schuld. Das musst du mir versprechen.«
»Wie du möchtest.«
Als Theodor im Oktober beschlossen hatte, gen Süden zu den Schlachtfeldern des Sezessionskrieges zu fahren, litt sie nicht wenig, ließ sich jedoch nichts anmerken. Außerdem war ihr bewusst, dass es besser war, wenn er jetzt ging – bevor sie ihn so sehr ins Herz schloss, dass der Trennungsschmerz unerträglich würde.
Er war gerade seit einer Woche fort, als ihre Regel ausblieb. Während der Zeit der Ungewissheit hatte sie solche Ängste ausgestanden, dass sie sich nur mit äußerster Mühe auf ihre Pflichten im Haushalt konzentrieren konnte. Und sie erinnerte sich an Seans Worte. Doch zu ihrer großen Erleichterung stellte es sich als falscher Alarm heraus.
Theodor war viele Monate fort, und nach seiner Rückkehr war die Versuchung groß, ihre Affäre fortzusetzen, aber sie entschied, dass sie von nun an nur noch Freunde sein sollten. Weiß Gott, dachte sie, er wird mit Sicherheit bald mit anderen Frauen anbandeln – wenn er es nicht schon längst getan hat.
Und so waren sie Freunde geblieben. Sie nahm sich keinen neuen Liebhaber und lernte auch keinen Mann kennen, den sie gern geheiratet hätte. Aber ihre geheime Erinnerung bewahrte sie im Herzen, und sie war stolz auf sie.
Sie hatte ihm sogar behilflich sein können. Als er ihr einmal erzählte, er sei auf der Suche nach einem Gönner, ging Mary zu Frank Master und bat ihn, sich Theodors Arbeiten anzuschauen. Das war vor fünf Jahren gewesen, und Master erwies sich als hervorragender Schutzherr: Er hatte ihm seitdem Aufträge gegeben, ihm nützliche Kontakte vermittelt – alles, was sich ein Künstler nur wünschen konnte. Und als Theodor ihr sagte, es sei wichtig, wenn Journalisten zur Ausstellungseröffnung kämen, bat Mary sogar ihren Bruder, mit ein paar Zeitungsleuten aus seinem Bekanntenkreis zu reden. Als sie jetzt also Theodor wie einen wütenden Löwen auf und ab gehen sah, brachte sie ihn dazu, ihr alles zu erzählen. Und nachdem sie alle ausgestellten Arbeiten betrachtet und gelobt hatte, sagte sie sanft zu ihm: »Wenn du Boss Tweed und Nast da drüben aufhängst« – sie zeigte auf eine Wand, an der noch etwas Platz frei war –, »sieht das bestimmt nicht schlecht aus.«
»Wahrscheinlich hast du recht«, erwiderte er knurrig.
»Tu’s mir zuliebe«, sagte sie.
*
Die Vernissage war sehr gut besucht. Natürlich wollten alle Tweeds und Nasts Porträts sehen, aber Frank Master behielt recht, denn anschließend sahen sich die Besucher auch den Rest der Ausstellung an und blieben sogar vor einigen der besten Aufnahmen stehen.
Nachdem er seine Schwester begrüßt und mit jedem, dem die Masters ihn vorstellten, ein bisschen höfliche Konversation gemacht hatte, konnte Theodor sich beinahe entspannen. Beinahe, aber nicht ganz. Denn ein bestimmter Mann war noch nicht erschienen. Ein Besucher, der äußerst wichtig wäre. Falls er sich blicken ließ.
Der Reporter der New York Times. Er hatte Sean O’Donnells Wort, dass der Bursche kommen würde, aber um sieben war noch immer nichts von ihm zu sehen. Ebenso wenig um zehn nach. Es ging schon auf halb acht zu, als Master sich endlich neben ihn stellte und flüsterte: »Ich glaube, das ist er.«
Horace Slim war ein ruhiger Mann in den Dreißigern mit einem dünnen Schnurrbart und traurigen Augen. Er grüßte Theodor höflich, doch etwas an seiner Art erweckte den Eindruck, dass er nur erschien, weil er geschickt worden war, und dass er, sobald er genügend Material für einen kurzen Artikel zusammenhatte, schleunigst wieder verschwinden würde.
Theodor brauchte mehr als das. Er zwang sich allerdings, ruhig zu bleiben. Er wusste, dass es keinen Sinn machte, zu sehr zu
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