Im Rausch der Freiheit
dieses Geschäft legal ist?«, platzte er plötzlich heraus.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte Sean lächelnd. »Vertrauen Sie mir.«
Gabriel Love lächelte nicht. Er sah ihn mit einem sehr merkwürdigen Blick an, einem Ausdruck, der Master überhaupt nicht gefiel.
»Sie werden mich doch nicht etwa hängen lassen, oder?«, fragte er.
»Nein«, sagte Frank widerwillig.
»Lassen Sie mich ja nie hängen«, sagte der alte Gabriel Love.
»Er wird Sie nicht hängen lassen«, sagte Sean schnell.
Gabriel warf Sean einen Blick zu. Dann ging sein Gesicht lächelnd in die Breite.
Die Weinbrandbirnen wurden aufgetragen.
*
Am nächsten Morgen brachte Frank Master das Frühstück schnell hinter sich. Dann ging er hinaus in den Garten. Es war noch immer verblüffend warm für die Jahreszeit, gut über zehn Grad. In einem Zeitungsartikel war von einem Sturm im Mittleren Westen die Rede gewesen, aber der Wetterbericht verhieß für das Wochenende warmes Wetter, mit später zunehmender Bewölkung und vereinzelten Schauern. Jetzt war der Himmel blau. Die Krokusse blühten schon seit Tagen und bildeten überall im Garten reizvolle Kleckse von Lila, Weiß und Gelb.
Nachdem er eine Zeitlang auf und ab spaziert war, beschloss Frank, sich in die Wall Street zu begeben. Diesmal nahm er allerdings eine Droschke – ein Fehler, wie sich herausstellte. Denn als sie die Lower East Side erreichten, stießen sie auf eine nicht enden wollende Kolonne von hoch beladenen Fuhrwerken auf dem Weg in die Stadt. Der Zirkus Barnum, Bailey und Hutchinson kam nach New York. Er hätte daran denken sollen. Er und Hetty durften nicht vergessen, mit ihren Enkelkindern eine Vorstellung zu besuchen. Jetzt aber blockierte der Zirkus die Straßen, und es dauerte eine Weile, bevor die Droschke weiterfahren konnte.
Samstagvormittags war in der Wall Street gewöhnlich nicht viel los, obwohl der Handel erst um Mittag schloss. Master betrat die Börse. Nachdem er sich auf dem Parkett rasch umgesehen und festgestellt hatte, dass der Aktienhandel ruhig verlief, stieg er hinauf zu einem Makler.
»Irgendwas los?«, fragte er.
»Nicht viel. Gerade sind ein paar Hudson-Ohio-Aktien gekauft worden. Nichts Aufsehenerregendes.«
»Ist eine solide Aktie«, sagte Master achselzuckend.
Also hatte Gabriel Love seine Geschäfte getätigt. Die Falle war aufgestellt worden. Master wartete noch eine Weile. Die Börse schien ohne Aufregungen ins Wochenende zu gehen.
Was sollte er tun? Diese Frage stellte er sich, seit er am Morgen aufgewacht war. Der Rat seines Sohnes war zweifellos vernünftig gewesen: im Zweifelsfalle nichts. Wenn Gabriel Loves Transaktion legal war, würde der Wertgewinn seines Aktienpakets erheblich sein. Bei Einszwanzig hätte er sein Geld verdoppelt. Und der Preis konnte leicht noch weiter steigen. Es war verlockend, keine Frage.
Bestand wirklich der geringste Grund zur Sorge? War am vergangenen Abend im Delmonico’s nicht bloß seine Phantasie mit ihm durchgegangen?
Weitere zwanzig Minuten trieb er sich herum, ohne zu einer Entscheidung zu gelangen. Zum Teufel mit der Feigheit, schalt er sich selbst. Sei ein Mann! Am nächsten Tag würde er mit Donna Clipp den Fluss hinauffahren, ohne dass eine Menschenseele wusste, wo er war. Er würde sich prächtig amüsieren, sein Makler würde verkaufen und er selbst bei seiner Rückkehr ein verdammtes Stück reicher sein. Was zum Teufel sprach dagegen?
Das war die Wall Street. Das war New York. Und er war verflixt noch mal ein Master! Groß genug, um mitzuspielen. Von einem Gefühl mannhaften Triumphs erfüllt, verließ er die New York Stock Exchange.
Er war hundert Yard gegangen, als er J.P. Morgan sah.
Der Bankier stand an einer Straßenecke. Mit seinem hohen Zylinder und seinem Frack, seinem ausdruckslosen Gesicht und seiner breiten, gewölbten Brust wirkte er wie eine Mischung zwischen einem römischen Kaiser und einem Preisboxer. Er war noch keine einundfünfzig Jahre alt, schien aber schon zu den Unsterblichen zu gehören. Wollte J.P. Morgan eine Droschke nehmen? Er stand einfach nur am Straßenrand und ließ den Blick, wie den Strahl eines Leuchtturms, über den Verkehr gleiten.
Und der große Bankier stand ihm direkt im Weg. Frank schritt auf ihn zu. Als er näher kam, drehte sich Morgan um.
»Mr Morgan.« Er verbeugte sich höflich.
Der Bankier nickte ihm knapp zu. Es war schwer zu erkennen, aber unter seinem buschigen Schnurrbart meinte er sogar ein schwaches Lächeln zu sehen.
*
Es wurde
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