Im Rausch der Freiheit
ist Mr Gorham Grey«, sagte Tom. »Von Drexel, Morgan.«
»Oh«, sagte Frank.
»Danke, dass Sie mich empfangen haben, Mr Master«, sagte Gorham Grey höflich. »Sie sollten wissen, dass ich Mr J.P. Morgans persönlicher Assistent bin und er mich beauftragt hat, Sie aufzusuchen.«
»Oh«, sagte Frank noch einmal.
»Da ich Ihren Sohn kenne, habe ich mich zunächst ihn an mich gewandt und ihn gebeten, die Vorstellung zu übernehmen«, sagte Gorham Grey.
»Richtig«, sagte Tom.
»Worum geht es?«, fragte Frank und krampfte nervös die Finger um die Kante des Bettlakens.
»Mr Morgan wünscht, Ihnen ein Aktienpaket abzukaufen«, sagte Gorham Grey. »Von der Hudson Ohio Railroad. Nach meinen Informationen halten Sie zehn Prozent der ausgegebenen Anteile.«
»Oh«, sagte Frank.
»Ich sollte ohne Umschweife erklären«, fuhr Gorham Grey fort, »dass Mr Morgan gestern eine dringende Depesche von Mr Cyrus MacDuff erhielt, der sich gegenwärtig in Boston aufhält und der, wie Ihnen bekannt sein wird, der größte Anteilseigner der Hudson-Ohio ist. Mr MacDuff war es nicht möglich, Sie persönlich zu erreichen, da er in Boston festsitzt. Also hielt er es für am klügsten, die ganze Angelegenheit Mr Morgan anzuvertrauen, damit er sie nach eigenem Ermessen regelt.«
»Richtig«, sagte Tom.
»Einfach ausgedrückt«, sagte Grey, »glaubt Mr MacDuff, dass Mr Gabriel Love versucht, ihm seine Gesellschaft zu stehlen. Kennen Sie Mr Love?«
»Flüchtig«, sagte Frank lahm.
»Wir zogen Erkundigungen ein, und wie uns scheint, liegt das Problem darin, dass Mr Love Anteile der Niagaralinie besitzt und dass MacDuff bislang den Anschluss der Niagara an die Hudson Ohio verhindert hat.«
»Wirklich?«, sagte Frank.
»Die Lösung scheint Mr Morgan ganz einfach zu sein. Er hat Mr MacDuff mitgeteilt, dass er in dieser Angelegenheit nur tätig werden wird, wenn er Mr Loves Niagaraaktien zu einem vernünftigen Preis erwerben kann und wenn Mr MacDuff ihm die Zusicherung gibt, dass die Niagaraline an die Hudson-Ohio angeschlossen wird. Damit hat sich Mr MacDuff unter der Voraussetzung einverstanden erklärt, dass es ihm gelingt, sich die absolute Mehrheit am Aktienkapital der Hudson-Ohio zu sichern. Dies bedeutet, Sir, dass wir Ihnen die Hälfte Ihrer zehn Prozent abkaufen möchten.«
»Oh«, sagte Frank. »Und was ist mit Gabriel Love?«
»Vor drei Stunden habe ich ihm seine Niagaraaktien abgekauft«, sagte Gorham Grey. »Er hatte, glaube ich, gehofft, einen größeren Gewinn zu erzielen. Aber sobald ich ihm erklärte, dass Mr Morgan überhaupt nichts kaufen würde, solange nicht alle Rahmenbedingungen zu seiner Zufriedenheit erfüllt seien, und dass Mr MacDuff ohne Mr Morgans Empfehlung überhaupt nichts kaufen wird, ist es uns gelungen, zu einer Einigung zu kommen. Mr Love hat mit ansehnlichem Profit verkauft, also steht er besser da als vorher.«
»Was werden Sie für meine Anteile zahlen?«, fragte Frank.
»Die Hudson-Ohio-Aktie wird gegenwärtig für sechzig gehandelt. Sollen wir siebzig sagen?«
»Ich hatte auf einszwanzig gehofft«, sagte Frank.
»Loves Plan ist geplatzt«, sagte Mr Gorham Grey ruhig.
»Aha«, sagte Frank.
Es trat ein kurzes Schweigen ein.
»Mr Morgan glaubt, dass die künftige Hudson-Ohio-Niagara eine logische Verschmelzung und für alle Beteiligten von Vorteil sein wird«, fuhr Gorham Grey fort. »Ihre verbleibenden Hudson-Ohio-Aktien werden zweifellos im Wert steigen. Und obwohl er weit mehr als den aktuellen Marktpreis bezahlt hat, rechnet Mr Morgan damit, dass die von ihm gekauften Niagaraaktien ihm zu gegebener Zeit einen ansehnlichen Gewinn verschaffen werden. Kurz gesagt: Jeder bekommt etwas. Solange« – er warf Master einen strengen Blick zu – »niemand zu gierig wird.«
»Ich verkaufe«, sagte Frank nicht ohne Erleichterung.
»Richtig so«, sagte Tom.
Das Wetter besserte sich im Laufe des Tages weiter. Am Donnerstagvormittag kehrte Frank in sein Haus am Gramercy Park zurück, wo er von Hetty so empfangen wurde, als sei gar nichts geschehen.
*
Drei Tage später suchte Lily de Chantal Hetty Master auf.
»Ich habe Neuigkeiten für Sie«, sagte sie. »Über Miss Clipp.«
»Ach?«
»Ich bin zu ihrem Logis gegangen, aber sie war nicht da.«
»Noch immer in Brooklyn?«
»Ich bin zum Hotel gefahren. Sie hat es in der Nacht auf Montag verlassen. Ihr Koffer steht noch immer da.«
»Sie meinen doch nicht etwa …?«
»Wie Sie wissen, sind überall in der Stadt Leichen ausgegraben worden.
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