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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Sturm sie fortreißen und in den Abgrund schleudern. Sie vermochte sich nur mit aller Kraft festzuhalten und sich Schritt für Schritt weiterzuschleppen. Sie wusste, dass sie nicht stehen bleiben durfte. Wenn sie es nur auf die andere Seite schaffte … Wenn sie nur in Bewegung bleiben konnte …
    Sie schaffte es, den Scheitelpunkt zu erreichen, wo der lange Abstieg begann, weitere zehn Meter hinter sich zu bringen. Und noch einmal zehn. Dann sah sie unmittelbar vor sich etwas, das sie bis ins Innerste entsetzte.
    Donna blieb stehen.
    *
    Der Blizzard wütete den ganzen Tag weiter. Manche nannten ihn den »weißen Orkan«. Schon bald aber fanden die Leute einen anderen Namen für ihn. Wegen der endlosen Schneeflächen, die man, zu Recht oder Unrecht, mit dem Territorium in Verbindung brachte, tauften sie ihn den »Dakotablizzard«.
    Auch wenn die Straßen noch unpassierbar waren, versuchten einige Hochburgen des Konsums wenigstens einen guten Eindruck zu machen. Macy’s Kaufhaus öffnete für ein paar Stunden, obwohl Kunden sich keine blicken ließen, und die armen Verkäuferinnen mussten bis zum Abklingen des Blizzards ausharren, da sie nicht nach Hause konnten. Ein paar Banken wollten ebenfalls öffnen, beschlossen jedoch, ihre Darlehen um ein paar Tage zu verlängern, da niemand zu ihnen gelangte. Die New Yorker Börse öffnete und schaffte es sogar, dass an diesem Montagvormittag ein paar Aktien den Besitzer wechselten. Aber es saß nur eine Handvoll Händler da, und kurz nach Mittag waren sie so vernünftig aufzugeben.
    Von den wenigen Aktien, die gehandelt wurden, betraf keine einzige die Hudson Ohio Railroad. Denn Mr Cyrus MacDuff war völlig außerstande, irgendwelche Anweisungen an seine Makler zu übermitteln, da die Telegrafenverbindung zwischen Boston und New York unterbrochen war. Ebenso wenig konnte der wutschäumende Gentleman persönlich zur Rettung seiner Eisenbahngesellschaft eilen, da sämtliche Straßen fußhoch zugeschneit, die Eisenbahnlinien unbefahrbar waren und auf dem vom Sturm aufgepeitschten Meer bereits Dutzende von Schiffen entlang dieses Küstenabschnitts in Seenot geraten waren.
    Während draußen der Dakota-Blizzard wütete, pflegte Lily de Chantal im großen Mietshaus gleichen Namens weiter Frank Master, der gegen Abend etwas Fieber bekam.
    Dienstag früh schien es ihm etwas besser zu gehen. Doch die Stadt blieb von der Außenwelt abgeschnitten, und der Blizzard tobte mit unverminderter Kraft weiter.
    Im Laufe des Nachmittags jedoch feierte der menschliche Einfallsreichtum einen kleinen, aber wertvollen Triumph. Ein paar gescheite Köpfe in Boston entdeckten, dass es möglich war, trotz des Unwetters eine telegrafische Verbindung nach New York herzustellen. Sie benutzten das internationale Seekabel und sandten ihre Botschaften, um zwei Ecken, über London.
    *
    Am Mittwochmorgen endlich begann der Sturm nachzulassen. Die Stadt war weiter wie gelähmt, aber die Menschen fingen an, sich freizuschaufeln. Als die Windgeschwindigkeiten zurückgingen, stiegen auch die eisigen Temperatur ein wenig an.
    Dennoch war Hetty Master zutiefst überrascht, als um elf Uhr vormittags ihr Sohn Tom und ein ihr nicht bekannter Gentleman erschienen und Frank zu sprechen wünschten.
    »Er ist nicht da«, sagte sie.
    »Ich muss ihn erreichen, Mutter«, sagte Tom. »Es ist dringend. Kannst du mir bitte sagen, wo er ist?«
    »Ich glaube, nein«, antwortete sie leicht verlegen. »Kann es nicht ein, zwei Tage warten?«
    »Nein«, sagte ihr Sohn, »das kann es nicht.«
    »Könnte ich dich allein sprechen?«, sagte sie.
    *
    Es war für Lily de Chantal ein ziemlicher Schock, als gegen Mittag Tom Master und ein weiterer Gentleman an ihrer Wohnungstür im Dakota erschienen. Wie sie erfahren hatten, dass Frank sich bei ihr aufhielt, und welche Erklärung man ihnen für seine Anwesenheit gegeben haben konnte, war ihr ein Rätsel. Sie schienen jedenfalls nicht das geringste Interesse zu haben, derlei Fragen zu erörtern. Umso dringender verlangten sie, Frank zu sprechen.
    »Es geht ihm nicht sehr gut«, sagte sie. »Er hatte Fieber.«
    »Tut mir leid, das zu hören«, sagte Tom.
    »Ich werde fragen, ob er Sie empfangen kann.«
    *
    Frank Master starrte vom Bett aus seine Besucher an. Es war ihm absolut schleierhaft, wie sie ihn ausfindig gemacht hatten, aber das war jetzt unwichtig.
    Bei Toms Begleiter handelte es sich um einen zurückhaltenden gut gekleideten Mann von Mitte dreißig, der wie ein Bankier aussah.
    »Das

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