Im Rausch der Freiheit
schippten schon seit einer ganzen Weile Schnee beiseite und taten ihr Bestes, um wenigstens auf einem der Bürgersteige einen Pfad frei zu halten. Es war eher ein Graben. Skip bemerkte, dass die Bänder der Telegrafenleitungen völlig vereist und an einer Stelle durch ihr eigenes Gewicht sogar heruntergefallen waren und in einem einzigen, mehrere Blocks langen Gewirr von Eis und Draht herumlagen. Auf Höhe der 55th rutschte er aus und stürzte, doch war er so dick vermummt, dass er sich nicht weh tat. Er lachte und schaute sich nach einer weiteren Mitfahrgelegenheit um. Vergeblich: Weit und breit war nichts zu sehen. Keine Droschken, keine Fuhrwerke, kaum Fußgänger. Ein paar Läden und Kontore schienen geöffnet zu haben, aber niemand ging hinein oder heraus. Er rutschte und schlitterte zwei weitere Blocks entlang und erreichte einen Saloon. Er trat ein. Ein paar Männer, ebenso vermummt wie er, standen am Tresen. Er wickelte sich den Schal vom Kopf.
»Was zu trinken, mein Sohn?«, fragte der Schankwirt.
»Kein Geld«, sagte Skip, obwohl das nicht stimmte.
Einer der Männer am Tresen legte ein paar Münzen hin und winkte ihn heran. Es roch nach Whiskey und heißem Rum.
»Geht auf mich, Junge«, sagte der Mann. »Gib ihm ’n ›Fuhrmann‹«, sagte er zum Wirt, der nickte. »Ist bloß Ale mit rotem Pfeffer«, erklärte er Skip. »Ist das, was Kutscher trinken. Hält dich für ’ne Weile warm.«
Skip trank langsam. Er spürte die Wärme in seinem Magen. Nach einer Weile dankte er seinem Wohltäter und verließ das Lokal. Den Schal wickelte er sich fest um den Kopf. Kaum stand er wieder auf dem Broadway, als ihm der Schnee ins Gesicht peitschte, als wolle er ihm den Schal wegreißen. Doch Skip hielt sich an einem Geländer fest, senkte die Stirn und wankte weiter.
Und dann, ein paar Blocks weiter runter, hatte er erneut Glück: ein Brauereiwagen. Hinter dem Schal verzog sich sein Mund zu einem Grinsen. Die Brauereien ließen sich durch nichts aufhalten. Sollte die Bierversorgung in New York je zum Erliegen kommen, dann würde man wissen, dass das Ende der Welt gekommen war.
Der Wagen war groß und hoch beladen mit Alefässern. Schwerfällig wie ein Ozeandampfer durch ein Packeisfeld dümpelte er voran. Er wurde von nicht weniger als zehn mächtigen Kaltblütern gezogen. Vom Kutscher unbemerkt sprang Skip hinten auf. Und kam so, langsam, aber bequem, bis zur 28th Street hinunter. Von dort kämpfte er sich, an Geländer und jeden anderen Halt geklammert, durch den Blizzard zum Gramercy Park durch.
*
Hetty Master war äußerst erstaunt, als Skip ihr einen Brief von Lily de Chantal aushändigte, aber sie las ihn sofort. Es waren nur wenige Zeilen-Franks Schiff, schrieb Lily, war vergangene Nacht zur Umkehr gezwungen worden. Er sei völlig durchnässt angekommen und schien sich einen Schnupfen geholt zu haben. »Aber ich habe ihn ins Bett gesteckt und gebe ihm einmal die Stunde ein Gläschen heißen Whiskey. Er will nicht, dass irgendjemand von seiner Anwesenheit in der Stadt weiß, sagt allerdings nicht, warum.« Hetty konnte ein Lächeln nicht unterdrücken; zumindest war Frank in Sicherheit, und Lily würde sich um ihn kümmern. Dann kam ein Postskriptum:
Ganz offensichtlich ist unsere kleine Freundin nie an der Fähre aufgetaucht. Ich frage mich, ob sie in Brooklyn festsitzt!
Ich werde sie auf jeden Fall, wie vereinbart, aufsuchen, bevor ich Frank wieder aus dem Haus lasse.
Hetty musste beinahe lachen. Sie hoffte, dass die kleine Miss Clipp, wo immer sie sein mochte, sich gerade die Zehen abfror. Auf ganz eigene, unerwartete Weise schien der Plan doch noch aufzugehen.
*
Tatsächlich stand Donna Clipp in diesem Augenblick vor der Auffahrtsrampe zur Brooklyn Bridge. Und sie wurde allmählich wütend.
Sie hätte natürlich im Hotel bleiben können, aber der Direktor verlangte immer hartnäckiger, dass sie bezahlen sollte. Überdies langweilte sie sich. Donna Clipp gefiel es nicht, nichts zu tun. Einer der anderen Gäste bot an, ihr ein Buch zu leihen. Aber Donna hatte noch nie eingesehen, was Lesen für einen Sinn haben sollte.
Also beschloss sie heimzugehen. Sie hatte die wenigen Wertsachen, die sie besaß, genommen und in ihre Handtasche gestopft, nach einem Stück Seil verlangt und ihren Koffer damit verschnürt und mit einer ganzen Reihe von komplizierten Knoten gesichert, an denen sich jeder, der sie zu lösen versuchte, die Fingernägel abbrechen würde. Anschließend ließ sie sich vom
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