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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Die Mutter trug eine eng anliegende, mehrreihige Perlenkette und einen Pelz. Sie schaute sich nervös um. Sie kam Salvatore entfernt bekannt vor. Er versuchte sich zu erinnern, wo er sie gesehen haben konnte.
    »Ich will bloß hoffen, Charles«, sagte sie, »dass es keine Razzia gibt. Das wäre so peinlich!«
    Der junge Mann lachte und sagte, sie bräuchte sich keine Sorgen zu machen, aber sie sah nicht besonders froh aus.
    Da lehnte sich Paolo zu Salvatores Überraschung hinüber zu dem Tisch.
    »Entschuldigen Sie, Madam«, sagte er geschmeidig mit einer Stimme, die Salvatore bei ihm noch nie gehört hatte, »aber ich glaube, ich kann Sie beruhigen.«
    Salvatore beobachtete erstaunt die Szene. Der Paolo, den er seit seiner Kindheit kannte, der Englisch noch immer mit einem leichten italienischen Akzent sprach, war plötzlich verschwunden. An seine Stelle war ein eleganter Mann getreten, der wie ein Rechtsanwalt aus besseren und besten Kreisen klang.
    »Oh«, sagte die Dame mit erfreuter Miene. »Ich wäre Ihnen äußerst dankbar, wenn Sie das täten!«
    »Nun«, lächelte Paolo, »da könnte ich zweierlei anführen. Zum einen: Wenn die Polizei eine Razzia plante, wüsste ich schon längst davon. Zweitens sitzt, zwei Tische hinter Ihnen, der Bürgermeister von New York.«
     
    Ihr Ehemann schaute sich nach dem fraglichen Tisch um, grinste Paolo breit an und fing an zu lachen. Denn dort saß tatsächlich kein Geringerer als James J. Walker, der charmante irische Bürgermeister von New York, dessen Lebenslust allgemein bekannt war.
    Mit einem Lächeln in Richtung der Dame und einer respektvollen Verbeugung zum Bürgermeister hin stand Paolo vom Tisch auf.
    »Würdest du es wirklich wissen, wenn eine Razzia bevorstünde?«, fragte Salvatore, als sie auf die Straße traten.
    »Aber natürlich, Jungchen. Die Bullen sind gut versorgt – Lucky Luciano zahlt der Polizei über zehntausend Dollar die Woche.« Er schmunzelte. »Schöne Perlen hatte diese Lady an – wer auch immer sie gewesen sein mag.«
    »Mir ist grad aufgegangen, dass ich es weiß«, sagte Salvatore. »Ich kenne sie.«
    *
    »Nun«, sagte Rose zu Charlie, »wenn du uns zum Essen einlädst, wird es immer ein Abenteuer!« Das war nicht als Kompliment gemeint. Und weil er das wusste, lachte Charlie.
    Das letzte Mal hatte er seine Eltern ins Algonquin Hotel ausgeführt, wo es ihnen recht gut gefiel. Schließlich lag es nicht einmal einen Block von der Fifth Avenue entfernt auf der West 44th Street. Der Harvard Club war nur ein paar Türen weiter, und der New York Yacht Club, dieser Nabel des gesellschaftlichen Lebens in Newport, wo seine Mutter die Sommermonate verbrachte, residierte fast unmittelbar daneben in einem prächtigen Clubhaus. »Nein, so was«, hatte seine Mutter ausgerufen, »ich muss schon hundertmal nur ein paar Schritte von diesem Hotel entfernt gewesen sein und habe nie daran gedacht, einen Blick hineinzuwerfen!«
    Das Glanzstück des Algonquin war der große Tisch, an dem sich die literarischen Koryphäen der Stadt trafen. Charlie machte seine Eltern auf die Schriftsteller Benchley und Sherwood, die Literaturkritikerin und Dichterin Dorothy Parker sowie auf Ross aufmerksam, der gerade in diesem Jahr die Zeitschrift New Yorker gegründet hatte. Ross zu sehen erfreute Rose ganz besonders. Die Leute fingen schon an, über den New Yorker zu reden.
     
    Jetzt sah Charlie sich in der Flüsterkneipe um und fragte sich, ob außer dem Bürgermeister noch jemand da wäre, den er seiner Mutter zei gen könnte. »Das da ist Edna St. Vincent, die Dichterin«, sagte er und deutete auf eine auffallend schöne Frau, die in einer Ecke saß. »Sie hat den Pulitzer-Preis gewonnen.« Er verkniff es sich hinzuzufügen, dass sie gern mit interessanten Menschen beiderlei Geschlechts schlief. Schließlich hatte er schon so genügend Probleme mit seiner Mutter.
    Rose Master missbilligte Charlies Wunsch, Schriftsteller zu werden. »In unseren Kreisen kannst du Bilder kaufen, mein Lieber, aber sie zu malen überlassen wir anderen«, hatte sie ihm einmal gesagt, als er noch ein Junge war, und mit dem Schreiben verhielt es sich ähnlich. Ein Professor durfte natürlich über Geschichte schreiben; ein älterer Gentleman konnte wohl seine Memoiren verfassen. Während des Krieges war ein Mitglied der angesehenen Familie Washburn sogar Kriegsberichterstatter für die Londoner Times gewesen. Doch in Greenwich Village in möblierten Zimmern zu wohnen, fragwürdige

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