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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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meinte, Paolo sehe gut aus, und Paolo hob lächelnd sein Glas.
    »Trinken wir auf die Prohibition, Bruder. Sie hat mir Glück gebracht.«
    Als die Abstinenzbewegung triumphiert hatte und der Zusatzartikel zur Verfassung, der den Verkauf von »berauschenden Getränken« unter Strafe stellte, 1920 in Kraft getreten war, mochte sich das Gesicht Amerikas verändern. Doch deswegen hörten die Leute noch lange nicht auf zu trinken. Gesetz war Gesetz, aber Millionen von Bürgern hielten sich nicht daran. Hochachtbare Restaurants griffen zu allerlei Tricks – ein »Teller Suppe« konnte sich beispielsweise als ein Glas Schnaps erweisen. Und in Städten wie New York schossen die Speakeasys – immer wieder von Polizeirazzien bedroht, indes nicht auszurotten – wie Pilze aus dem Boden. Und wie jedes Gesetz, das den Leuten etwas verbot, das sie unbedingt haben wollten, schuf die Prohibition einen äußerst einträglichen Markt. Alkoholschmuggler wie Rothstein, Waxy Gordon, Frank Costello, Big Bill Dwyer und Lucky Luciano verdienten sich eine goldene Nase. Salvatore fragte sich schon lange, ob sein Bruder in den Alkoholschmuggel verwickelt war. Jetzt hatte Paolo es ihm praktisch gestanden.
    Sie unterhielten sich über die Familie. Paolo fragte Salvatore nach seinem Liebesleben und sagte dann: »Ich kann dir ein richtiges Klassemädchen besorgen, ich meine, eins der besten. Umsonst.« Er grinste. »Sie ist uns eine Gefälligkeit schuldig. Möchtest du sie ausprobieren?«
    »Ich denk drüber nach«, sagte Salvatore, doch er hatte nicht die leiseste Lust, sich mit Paolos Freunden einzulassen, und das wussten sie beide. »Vielleicht finde ich ja ein nettes Mädchen, und wir heiraten«, fügte er hinzu.
    »Bene, bene. « Paolo sah erfreut aus. »Lädst du mich zu deiner Hochzeit ein?«
    »Aber sicher. Wie sollte mein Bruder nicht bei meiner Hochzeit dabei sein?«
    Danach unterhielten sie sich über Angelo und darüber, dass Onkel Luigi nach wie vor davon träumte, mehr aus dem Leben des jungen Burschen zu machen.
    »Vielleicht hat Onkel Luigi ja recht«, sagte Paolo. »Der Junge könnte auf eine Kunstschule gehen oder so. Wenn du Geld brauchst …«
    Salvatore sah seinen Bruder an und spürte eine Woge der Zuneigung in sich aufsteigen. Hinter dem Gangster – denn das war sein Bruder ohne Frage – war noch immer der alte Paolo zu erkennen. Er wollte sich seiner Familie gegenüber anständig verhalten, bemühte sich, seine Liebe zu zeigen, vielleicht auch Liebe zu empfangen. Salvatore streckte die Hand aus und drückte seinem Bruder den Arm.
    »Du bist ein guter Bruder«, sagte er leise. »Wenn Angelo etwas braucht, lasse ich’s dich wissen.«
    Sie aßen ihre Steaks auf. Paolo bestellte Kaffee.
    »Darf ich dich etwas fragen?«, sagte Salvatore.
    »Klar.«
    »Bereitet es dir Probleme, auf der falschen Seite des Gesetzes zu stehen?«
    Paolo dachte kurz nach, bevor er antwortete.
    »Erinnerst du dich an das Jahr 1907, als Rossi sämtliche Ersparnisse unseres Vaters verlor?«
    »Natürlich.«
    »Und erinnerst du dich, wie Anna 1911 in der Fabrik gestorben ist?«
    »Wie könnte ich das jemals vergessen?«
    »Auch ich erinnere mich, Salvatore.« Paolo nickte, und plötzlich schwang eine unterdrückte Leidenschaft in seiner Stimme. »Ich erinnere mich voller Wut. Voller Bitterkeit. Weil meine Familie arm war, weil wir unwissend waren und Verlierer, trauten sich die Leute, uns zu bestehlen, uns in Feuerfallen verschmoren zu lassen.« Er zuckte zornig die Achseln. »Warum auch nicht? Wir waren ja bloß Italiener. Kaffern. Spaghettifresser. Also habe ich mir gesagt: Ich will kein Verlierer sein. Egal was es kostet, ich werde gewinnen!« Er schwieg wieder, schien sich zu sammeln, lächelte dann. »Vielleicht bin ich wirklich eines Tages reich und heirate und kaufe ein großes Landgut für uns alle. Was hieltest du davon, kleiner Bruder?«
    Und da verstand Salvatore den Traum seines Bruders.
    Vier Gäste waren gerade an den Nachbartisch geführt worden. Salvatore warf einen Blick hinüber. Da waren ein etwas nachlässig gekleideter junger Mann in den Zwanzigern und eine junge Frau, eine jener flapper, wie man Frauen nannte, die kurze Röcke, kurze Haare trugen, Jazz hörten und sich wenig um althergebrachte Benimmregeln kümmerten. Dem Aussehen nach zu urteilen, handelte es sich bei dem Ehepaar mittleren Alters, das bei ihnen saß, um die Eltern des jungen Mannes. Der Vater schien ein Wall-Street-Yankee zu sein, gut aussehend und blauäugig.

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