Im Rausch der Freiheit
mich herfiel.
»Du verplemperst Zeit damit, diese Indianer zu retten!«, schrie sie mich an. »Jetzt mach dich an die Arbeit und säubere dieses Haus, das du einen Monat lang vernachlässigt hast!« Ich wusste, dass sie eine schlechte Meinung von den Indianern hatte, aber es war nicht meine Schuld, dass ich ihnen geholfen hatte. Der Baas sagte mir, ich solle mir keine Gedanken machen, aber sie schien zu vergessen, dass ich ihr das Leben gerettet hatte, und war eine Zeitlang kalt mir gegenüber.
Und dadurch begriff ich, dass man sein ganzes Leben lang mit Leuten zusammen verbringen und doch nicht sicher sein kann, sie wirklich zu kennen.
*
Doch die Dankbarkeit des Baas hatte ich mir auf jeden Fall erworben. Ungefähr einen Monat später rief er mich in das Zimmer, in dem er immer arbeitete, und befahl mir, die Tür zu schließen. Er rauchte seine Pfeife und sah mich nachdenklich an, sodass ich mich fragte, ob ich irgendwie in Schwierigkeiten steckte.
»Quash«, sagte er nach einer Minute, »kein Mensch lebt ewig. Eines Tages werde ich sterben, und ich habe mich schon die ganze Zeit gefragt, was dann mit dir geschehen soll.«
Ich dachte, vielleicht habe er sich überlegt, dass ich dann für seinen Sohn Jan arbeiten sollte. Aber ich hielt den Mund und hörte respektvoll zu.
»Also habe ich beschlossen«, sagte er, »dass du dann frei sein sollst.«
Als ich diese Worte hörte, traute ich kaum meinen Ohren. Alle Freigelassenen, die ich kannte, hatten früher, vor langer Zeit, für die Niederländische Westindien-Kompanie gearbeitet. Dass irgendwelche Privatpersonen in New York ihre Sklaven freiließen, war mir so gut wie nie zu Ohren gekommen. Als er das also sagte, war ich überwältigt.
»Danke, Baas«, sagte ich.
Er sog eine Zeitlang schweigend an seiner Pfeife. »Solange ich lebe«, fügte er hinzu, »werde ich dich allerdings noch brauchen.« Ich muss ihm da einen ziemlich vorsichtigen Blick zugeworfen haben, denn er fing an zu lachen. »Jetzt fragst du dich, wie lange ich’s wohl noch mache, stimmt’s?«
»Nein, Baas«, sagte ich, aber wir wussten beide, dass das stimmte, und da musste er noch mehr lachen.
»Nun«, sagte er, »noch habe ich es mit dem Sterben nicht eilig.« Dann bedachte er mich mit einem gütigen Lächeln. »Vielleicht wirst du lange warten müssen, Quash, aber ich werde dich nicht vergessen.«
Es schien, dass sich mein Traum von der Freiheit eines Tages doch noch erfüllen würde.
*
Daher erwartete ich mit Sicherheit nicht, dass schon kurz danach eine noch größere Freude in mein Leben treten würde.
Nach Ende der Indianerunruhen kehrte in New York wieder Frieden ein. Einige reiche englische Pflanzer waren aus Barbados und ähnlichen Orten in die Stadt gezogen. Sie wohnten zumeist in großen Häusern unten am Ufer des East River (wie er jetzt hieß), und einige von ihnen hielten es nicht für nötig, Niederländisch zu sprechen. Aber viele holländische Familien holten weiter Verwandte aus der alten Heimat herüber, sodass man bei all den vielen niederländischen Häusern und den niederländischen Unterhaltungen, die man auf der Straße hauptsächlich hörte, fast hätte meinen können, Gouverneur Stuyvesant sei noch immer an der Macht.
Jakob Leisler wurde damals allmählich zu einer recht wichtigen Persönlichkeit in der Stadt, und die einfacheren niederländischen Bürger mochten ihn. Wie sehr, das zeigte sich im Jahr 1668: Auf einer Handelsreise nach Europa fiel er maurischen Seeräubern in die Hände. Daraufhin ließ man in New York für den Deutschen sammeln, auch der Baas – auf Drängen seiner Frau – spendete großzügig, und so konnte Leisler tatsächlich freigekauft werden. Er kam auch oft die Herrin besuchen, immer sehr höflich und elegant gekleidet mit einer Feder am Hut. Und diese Aufmerksamkeit bereitete ihr das größte Vergnügen. Aber er hatte in seinem Auftreten zugleich etwas Schneidiges, Soldatisches, was ihr ebenfalls ziemlich gefiel. Denn die Herrin, wenngleich noch immer eine gut aussehende Frau, näherte sich jetzt dem Ende ihrer fruchtbaren Jahre und war mitunter etwas niedergeschlagen. Der Baas, der das verstand, behandelte sie immer mit großer Rücksicht und gab sich alle Mühe, Möglichkeiten zu finden, ihr eine Freude zu bereiten.
Hätte man nur das Gleiche von Juffrouw Clara sagen können! Denn seit der Heirat ihres Bruders hatte sich das kleine Mädchen, das ich geliebt habe, in eine regelrechte Hexe verwandelt. Ich konnte es kaum glauben.
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