Im Rausch der Freiheit
Nach außen hin war sie nach wie vor das liebreizende, goldige Mädchen, das ich schon immer gekannt hatte. Zu mir war sie weiterhin freundlich und ihrem Vater gegenüber – meistens – respektvoll. Aber ihrer Mutter gegenüber war sie der reinste Teufel. Wenn die Herrin sie bat, der Köchin zu helfen oder auf den Markt zu gehen, konnte man sicher sein, dass sie sich prompt beschwerte, ihre Mutter wisse sehr wohl, dass sie einer Freundin versprochen habe, sie gerade jetzt zu besuchen, und ihre Mutter nehme überhaupt keine Rücksicht auf sie. Wenn die Herrin irgendetwas sagte, erklärte Clara sofort, das sei nicht wahr. Wann immer Unangenehmes geschah, immer behauptete sie, ihre Mutter sei daran schuld, bis die Herrin manchmal nicht mehr konnte. Dann hielt der Baas Clara eine Standpauke und drohte, sie zu bestrafen. Aber schon bald fing sie wieder an, sich zu beklagen. Da tat mir die Herrin immer richtig leid.
Eines Tages kam Mr Master in Begleitung eines englischen Pflanzers zu Besuch. Die beiden und der Baas redeten auf Englisch miteinander. Ich war auch dabei. Mittlerweile hatte ich ein paar Brocken Englisch gelernt – genug, um ein bisschen zu verstehen, was sie sagten.
Nach ein, zwei Minuten forderte mich der Baas auf Niederländisch auf, ihm etwas zu holen, was ich auch tat. Und als ich es ihm brachte, fragte er mich etwas, das ich ihm leicht beantworten konnte, und ich tat es auf eine Weise, die ihn zum Lachen brachte, bevor ich an meinen Platz zurückging. Aber ich sah, dass der englische Pflanzer mich anstarrte, und dann sagte er dem Baas auf Englisch, dass er sich besser hüten sollte, so vertraulich mit mir umzugehen, denn unten auf den Plantagen hätten sie jede Menge Ärger mit schwarzen Sklaven, und die einzige Weise, mit unseresgleichen zu verfahren, sei, immer gut bewaffnet zu sein und uns auszupeitschen, sobald wir versuchten, uns Frechheiten herauszunehmen. Ich schaute nur zu Boden und tat so, als würde ich nichts verstehen, und der Baas lachte und sagte, das würde er sich merken.
Tatsächlich waren Sklaven das Thema ihrer Unterhaltung. Denn Mr Master war gerade mit einer Ladung Sklaven nach New York zurückgekehrt, darunter auch Indianer. Weil andere Länder sich darüber beschwert hatten, dass bei ihnen Menschen geraubt und verkauft wurden, hatte Gouverneur Andros angeordnet, nur Schwarze dürften auf dem Markt feilgeboten werden – denn alle Völker der Erde seien sich darüber einig, dass der Schwarze zum Sklaven geboren sei –, und dies brachte Mr Master in einige Verlegenheit.
»Ich beabsichtige, diese Indianer privat zu verkaufen«, sagte er. »Ich habe ein nettes junges Indianermädchen, und ich dachte, Sie möchten sie vielleicht kaufen.«
Gerade in dem Moment kam die Herrin herein und sah sehr erregt aus, weshalb ich annahm, dass Clara ihr mal wieder Kummer bereitet hatte. Die Herrin tat manchmal so, als würde sie kein Englisch verstehen, aber diesmal hielt sie es wohl nicht für nötig, denn sie schrie: »Ich dulde keine stinkenden Indianer in meinem Haus!« Dann wandte sie sich zum Baas und sagte: »Ein Sklavenmädchen, das hier mithilft, bräuchte ich allerdings schon. Du könntest mir ein schwarzes kaufen.«
Und der Baas war so froh, ihr eine Freude machen zu können, dass er gleich am nächsten Tag loszog und ein Sklavenmädchen kaufte. Ihr Name war Naomi.
*
Zu diesem Zeitpunkt war ich ungefähr dreißig Jahre alt, Naomi zehn Jahre jünger. Sie war klug für ihr Alter und ziemlich klein, hatte ein rundes Gesicht und einen etwas molligen Körper, was mir gut gefiel. Anfangs war sie in dieser neuen Umgebung recht still; aber wir beide redeten durchaus miteinander. Wie die Tage vergingen, lernten wir uns besser kennen, und wir erzählten uns gegenseitig unser Leben. Sie hatte auf einer Plantage gelebt, aber das Glück gehabt, im Haus zu arbeiten. Als der Eigentümer seine Frau verlor und sich wieder verheiratete, sagte die neue Ehefrau, sie wolle im Haus nur neue Sklaven haben und die alten sollten verkauft werden. Also verkaufte ihr Eigentümer sie an einen Händler, der sie dann nach New York mitnahm, weil dort gute Preise erzielt wurden.
Ich erklärte Naomi, dass dies ein freundliches Haus sei, was sie etwas zu trösten schien.
Naomi und ich kamen sehr gut miteinander aus. Manchmal half ich ihr, wenn sie schwere Arbeiten zu verrichten hatte, und wenn ich müde war, half sie mir. Einmal war ich ein paar Tage lang krank, und sie pflegte mich. So begann ich nach und
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