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Im Rausch der Freiheit

Im Rausch der Freiheit

Titel: Im Rausch der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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nach, wegen ihres guten Herzens eine große Zuneigung für Naomi zu empfinden.
    Und ich begann mir vorzustellen, sie zu meiner Frau zu machen.
    Ich litt nie unter einem Mangel an Freundinnen. Außer den Frauen in der Stadt gab es noch ein Mädchen, das ich gern besuchte. Sie wohnte in einem kleinen Dorf oben am East River, direkt unterhalb der Schweineinsel, und ihr Name war Violet. An Sommerabenden, wenn der Baas zu mir sagte, dass er mich nicht mehr brauchte, schlich ich mich dorthin. Violet hatte mehrere Kinder, von denen einige durchaus von mir gewesen sein könnten.
    Doch Naomi war anders als meine bisherigen Geliebten. Bei ihr verspürte ich den Wunsch, sie zu beschützen. Sollte ich eine Beziehung mit ihr anfangen, dann nur, um häuslich zu werden, und das hatte ich mir bis dahin noch nie vorgestellt. Deswegen versuchte ich eine Zeit lang, mit Naomi lediglich befreundet zu bleiben, sie dabei aber auf Abstand zu halten. Nach einer Weile merkte ich, dass sie sich fragte, was ich mit meinem Verhalten bezweckte; doch sie sagte nie etwas, und ich verriet ihr nicht, was in mir vorging.
    Eines Abends dann, mitten in ihrem ersten Winter bei uns, fand ich Naomi, wie sie allein dasaß und fröstelte. Denn da sie immer an warmen Orten gelebt hatte, machte ihr die Kälte New Yorks zu schaffen. Ich setzte mich neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern. Eins führte zum anderen; und danach dauerte es nicht mehr lange, und wir lebten wie Mann und Frau miteinander.
    Der Baas und die Herrin müssen Bescheid gewusst haben, aber sie sagten nichts.
    *
    Es war Frühling, als der Baas zu mir sagte, ich solle ihn den Hudson hinaufbegleiten. Ich hatte mir schon immer gewünscht, einmal diesen großen Fluss zu sehen, und so freute ich mich mitzufahren, auch wenn dies bedeutete, eine Weile von Naomi getrennt zu sein. Normalerweise wäre der Baas erst ein paar Wochen später zu dieser Reise aufgebrochen, aber Clara und die Herrin hatten sich letztens so häufig gezankt, dass er wahrscheinlich froh war, von ihnen wegzukommen.
    Direkt vor unserer Abfahrt stritten allerdings auch er und die Herrin miteinander. Die Herrin war sowieso nie besonders gut gelaunt, wenn er
    auf dem Fluss fuhr, und jetzt fing sie auch noch an, ihm wegen Claras Benehmen Vorwürfe zu machen. Sie machten die Tür zu, sodass ich nicht alles hören konnte, aber als wir aufbrachen, sah der Baas niedergeschlagen aus und sagte nicht viel.
    Er trug einen Wampum-Gürtel. Mir war schon aufgefallen, dass er den immer anlegte, wenn er den Fluss hinauffuhr. Ich glaube, er hatte ihn von einem Indianerhäuptling geschenkt bekommen.
    Es gab vier Ruderer, und ich durfte mich an die Pinne setzen. Schon nach einer Stunde auf dem Wasser sah der Baas wieder vergnügter aus. Da Wind und Tide gegen uns waren, kamen wir an dem Tag nur langsam voran; doch das schien den Baas nicht zu kümmern. Ich glaube, er war einfach froh, auf dem Fluss zu sein. Wir waren noch in Sichtweite von Manhattan, als wir anlandeten, um ein Lager aufzuschlagen.
    Am nächsten Morgen waren wir erst ein kurzes Stück gefahren, da warf er mir einen Blick zu und sagte: »Also, Quash, ich schätze mal, du hast Naomi zu deiner Frau gemacht. Wusstest du nicht, dass du mich vorher um Erlaubnis fragen musst?«
    »Ich weiß nicht, ob sie wirklich meine Frau ist, Baas«, sagte ich. »Um eine Frau zu nehmen, muss man in die Kirche gehen.« Ich war neugierig, was er dazu sagen würde.
    »Die Engländer haben ein Wort dafür«, erklärte er mir. »Nach englischem Gesetz – das wir ja befolgen sollen – würde sie, da sie mit dir so zusammenlebt, als wäret ihr verheiratet, deine Common-law- Ehefrauheißen. Das heißt, sie lebt mit dir ›in eheähnlicher Gemeinschaft‹. Also«, und er lächelte mir zu, »behandle sie gut.«
    »Sie sind nicht böse auf mich, Baas?«, fragte ich.
    Er lächelte nur und schüttelte den Kopf. »Und die Herrin?«, sagte ich.
    »Mach dir keine Sorgen.« Er seufzte. »Wenigstens in dem Punkt sind wir einer Meinung.«
    Danach starrte er eine Zeitlang den Fluss hinauf, die Brise im Gesicht, und ich beobachtete ihn, um zu sehen, ob er noch immer guter Laune war. Dann drehte er sich um und lächelte mich an.
    »Darf ich Sie etwas fragen, Baas?«, fragte ich.
    »Ich höre«, sagte er.
    »Also, Baas«, sagte ich, »es ist so: Sie haben mir gesagt, dass ich eines Tages wohl frei sein werde. Naomi wird das aber nichts nützen, auch wenn sie mit mir ›in eheähnlicher Gemeinschaft‹ zusammenlebt.

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