Im Rausch der Freiheit
den Wortlaut verstehen; was die Herrin erwiderte, war allerdings laut und deutlich genug.
»Was soll das heißen, ich darf ein Jahr lang hierbleiben? Das ist mein Haus! Ich bleibe, solange ich lebe, wenn es mir passt!« Dann, nachdem der Anwalt etwas gesagt hatte: »Hudson freilassen? Das ist meine Entscheidung! Hudson gehört mir!« Ich hörte den Anwalt, noch immer ganz leise, etwas sagen. Dann explodierte die Herrin wieder. »Ich sehe, was hier abläuft, Sie Verräter! Ich glaube nicht einmal, dass mein Mann dieses englische Testament unterzeichnet hat. Zeigen Sie mir seine Unterschrift! Geben Sie her!«
Einen Moment lang war es still. Dann hörte ich, wie Jan aufschrie.
Ich hielt das Ohr inzwischen so nah an der Tür, dass ich, als sie aufflog, beinahe ins Zimmer gefallen wäre. Im selben Moment stürmte die Herrin an mir vorbei. Sie starrte stur geradeaus. Ich glaube nicht einmal, dass sie mich sah. Sie hatte ein Dokument in der Hand, und sie ging damit in die Küche. Dann rempelte mich Jan an, der ihr hinterherlief. Als ich das Gleichgewicht wiedergefunden hatte, war die Küchentür schon hinter ihr zugeknallt, und ich hörte, wie sie den Riegel vorschob. Jan kam zu spät. Er fing an zu schreien und gegen die Tür zu hämmern, aber es nützte nichts.
Hudson war in der Küche, und er erzählte mir anschließend, was da passierte. Die Herrin ging schnurstracks zum Herd und warf das Testament in die Flammen, blieb da stehen und sah zu, bis es völlig verbrannt war. Dann nahm sie einen Schürhaken und stocherte damit herum, bis nur noch Asche übrig war, und öffnete seelenruhig die Küchentür, vor der inzwischen Jan und der Anwalt standen.
»Wo ist das Testament?«, fragte der Anwalt.
»Was für ein Testament?«, gab sie zurück. »Das einzige Testament, von dem ich weiß, liegt im Tresor meines Anwalts.«
»Das kannst du nicht tun«, sagte Jan. »Das Testament war von Zeugen beglaubigt. Ich kann dich vor Gericht bringen.«
»Mach’s doch«, sagte sie. »Aber es ist nicht gesagt, dass du damit durchkommst. Und falls nicht, werde ich, auch wenn du mein Fleisch und Blut bist, dafür sorgen, dass du überhaupt nichts bekommst. Ich werde alles verjubeln. Und bis ein Richter mir etwas anderes sagt, gehört dieses Haus und alles, was sich darin befindet, mir.«
Darauf gingen die beiden mit den Worten, sie würde von ihnen hören. Und ich dachte, jetzt sei ich an der Reihe, ihren Zorn auszubaden. Aber zu meiner Überraschung sah sie mich ganz ruhig an und sagte: »Quash, würdest du mir ein Glas Jenever holen?« Und als ich es ihr brachte, sagte sie: »Jetzt bin ich müde, Quash, aber morgen unterhalten wir uns über deine und Hudsons Freilassung.«
»Ja, Mevrouw«, sagte ich.
*
Am nächsten Morgen stand sie früh auf und verließ das Haus, nachdem sie uns befohlen hatte, bis zu ihrer Rückkehr niemanden hereinzulassen.
Am späten Vormittag ließ sie ausrichten, sie brauche Hudson auf dem Markt; also ging er. Nach einer Weile kam sie, von ihm gefolgt, zurück und befahl mir, in die Stube zu kommen, wo sie sich setzte.
»Tja, Quash«, sagte sie zu mir, »ich habe ein paar traurige Tage hinter mir.«
»Es tut mir sehr leid wegen dem Baas«, sagte ich.
»Das glaube ich dir gern«, antwortete sie. Sie schwieg kurz, als ob sie nachdächte. »Es war traurig für mich, Quash, erfahren zu müssen, dass mein Ehemann vorgehabt hat, mich um mein Hab und Gut zu betrügen und mich aus meinem Heim zu verjagen, und dass meine eigene Familie daran beteiligt war.« Sie warf mir einen kalten Blick zu. Dann senkte sie die Augen. »Traurig war es für mich auch, Quash, dass du mir gestern nicht gehorcht hast und mit diesem Indianergürtel weggelaufen bist. Vielleicht wusstest du ja von diesem englischen Testament und dachtest, da du und dein Sohn bald frei sein würdet, könntest du mich nach Herzenslust beleidigen.«
»Der Baas hat mir einfach nur gesagt, dass Hudson und ich nach seinem Tod frei sein würden«, sagte ich. Denn das war die Wahrheit.
»Nun«, sagte sie, und ihre Stimme war ganz ruhig, »ich habe anders entschieden. Hudson ist bereits verkauft.«
»Verkauft?«, sagte ich.
»Ja«, sagte sie. »An einen Schiffskapitän. Er ist schon an Bord.«
»Ich möchte ihn sehen«, sagte ich.
»Nein«, antwortete sie mir.
In dem Moment klopfte es an der Tür, und ein grauhaariger Herr trat ein und verbeugte sich vor der Herrin. Ich wusste, dass ich ihn schon mal gesehen hatte, und dann erinnerte ich mich: Es war
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