Im Reich der Löwin
ist«, schnaubte er. Seine Augen verengten sich, als sein Bruder – scheinbar ungerührt – einen Schritt auf ihn zumachte, um zu ihm aufzublicken. Wieso nur war John seit ihrer Kindheit der Einzige, den Richard nicht mit seinem Jähzorn einzuschüchtern vermochte?, schoss es Löwenherz durch den Kopf, als John die Hand hob, um sich scheinbar nachdenklich über den Kinnbart zu streichen. »Und?«, fragte er mit unverblümtem Hohn. »Hat sie dich überzeugt?«
Das Gefühl der ohnmächtigen Wut nur mühsam unterdrückend, imitierte Richard die Geste und trat seinerseits so nah an Lackland heran, dass dieser sich den Hals verrenken musste, um dem harten Blick standzuhalten. »Ich weiß, dass du hinter Konstanzes Verschwinden steckst«, zischte er und stach dem keinen Zoll weichenden Prinzen mit dem Zeigefinger in die Brust. »Und für den Aufstand in London zeichnest du auch verantwortlich.« Bei diesen Worten huschte ein Schatten der Verwunderung über Johns Miene. Bis zu diesem Moment hatte er angenommen, seine Rolle in diesem gescheiterten Unterfangen sei keinem bekannt außer dem von ihm aus dem Weg geräumten Guillaume of Huntingdon. »Auch ich habe Spione!«, spuckte Richard aus und wirbelte mit einem angewiderten Gesichtsausdruck herum, um erneut an das hohe Flügelfenster zu treten. »Wie soll ich dir jemals trauen können?«, fragte er nach kurzem Schweigen schließlich und fuhr wie im Zwiegespräch mit sich selbst fort: »Werden diese albernen Intrigen aufhören, wenn ich unserer Mutter nachgebe?« Hätte er den Blick nicht auf den schlammigen Hof, sondern auf seinen Bruder gerichtet, hätte er das triumphierende Leuchten in dessen Augen wahrgenommen. »Schaff mir Otto vom Hals«, ließ sich John nach kurzem Schweigen vernehmen. »Dann verspreche ich, dir nicht mehr in den Rücken zu fallen.« Die Unverschämtheit dieser Worte ließ Richard herumfahren, mit drei ausgreifenden Schritten den Raum durchmessen und John am Kragen packen. Nur wenige Zoll von der Nase seines Bruders entfernt, knurrte er mit vor Zorn bebender Stimme: »Du wagst es, Bedingungen zu stellen?« Er stieß den ölig lächelnden John von sich und legte die Hand an den Schwertknauf. »Ich könnte dir auf der Stelle den Kopf abschlagen!« Die Knöchel seiner Rechten traten kalkweiß hervor, als er die Waffe einige Handbreit aus der Scheide zog.
»Das könntest du«, gab John unumwunden zu und legte ebenfalls die Hand an den Griff seiner Waffe. »Aber du wirst es nicht tun!« Die wenigen Lidschläge, die Richard dazu benötigte, das Langschwert völlig zu befreien und es John – den er mit einem mächtigen Hieb mit dem Handrücken zu Boden streckte – an die Kehle zu setzen, reichten dem Prinzen kaum aus, um zu erkennen, dass er die Grenze überschritten hatte. Wie ein Gigant ragte der König über ihm auf – totenblass und bebend vor Zorn. Schmerzhaft bohrte sich die giftscharfe Klinge in Lacklands Haut und fügte dem erschrocken aufkeuchenden Prinzen eine oberflächliche Wunde zu, die quer über seinen Kehlkopf lief. »Vergebt mir«, flehte er und hob abwehrend die Hände, um den König davon abzuhalten, den Todesstoß auszuführen. Dieser starrte einige Augenblicke mit mahlenden Kiefermuskeln auf seinen Bruder hinab, ehe er mit einem derben Fluch die Waffe zurück in die Scheide gleiten ließ und sich angeekelt von John abwandte. Zu genau kannte der Jüngere die Schwäche, die Richard davon abhielt, den eigenen Bruder kaltblütig zu erschlagen! Auch wenn John das Konzept der Ehre vermutlich nur aus Berichten und Liedern kannte, wusste er nur zu gut, dass Richard sich niemals dazu verleiten lassen würde, königliches Blut zu vergießen!
»Was passt dir nicht an Otto?«, fragte Richard schließlich barsch. Und als Lackland die Frage nicht sofort beantwortete, wirbelte er erneut herum und fuhr ihn an: »Soll ich die Antwort aus dir herausprügeln?« Sein Bruder, der wieder auf die Beine gekommen war und sich den Unterkiefer hielt, wich erschrocken einen Schritt zurück und erwiderte: »Otto will Macht, die ihm nicht zusteht«, beklagte er sich mit gespielter Empörung, woraufhin Richard ein kurzes, bellendes Lachen ausstieß. »Du solltest nicht immer von dir selbst ausgehen«, riet er voller Verachtung. »Dann wäre die Welt ein weitaus weniger trostloser Ort!« Wenngleich Lackland eigentlich etwas darauf erwidern wollte, schwieg er und hielt den kalten Blick des Königs – wenn auch mit weniger Hochmut als noch kurze Zeit zuvor.
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