Im Reich der Löwin
»Mit Otto habe ich andere Pläne«, lenkte Richard schließlich ein. »Um den brauchst du dich nicht zu sorgen.« Das zufriedene Zucken der Mundwinkel des Prinzen ignorierend, wies er auf die Tür in dessen Rücken. »Halte du dich an den Treueeid, den du mir geschworen hast, dann werde ich der Laune unserer Mutter vielleicht nachgeben.« Als John heuchlerisch das Haupt neigen wollte, schnitt er die Bewegung mit einer herrischen Geste ab. »Du kannst gehen!« Ohne darauf zu warten, dass Lackland dem Befehl Folge leistete, machte Löwenherz auf dem Absatz kehrt und stürmte nach nebenan, wo sein Liebhaber Blondel ihm mit gerunzelter Stirn entgegentrat.
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Während Richard dem Barden das Gespräch in allen Einzelheiten wiederholte und John Lackland trotz der Demütigung zufrieden die Tür hinter sich ins Schloss zog, stieß wenige Korridore entfernt der Chronist Richard of Devizes mit dem um die Ecke stürmenden Mercadier zusammen. Dieser packte ihn mit einem wüsten Fluch am Kragen seines Mönchsgewandes und sorgte somit dafür, dass es nur die Flut der Pergamentrollen im Arm des Zisterziensers war, die sich über den harten Steinboden ergoss. »Verdammt, passt doch auf!«, donnerte der Normanne. Und obwohl er sich zu Tode erschrocken hatte, fuhr Richard of Devizes beim Anblick des breitschultrigen Kriegers die Lust in die Lenden. Diese verflüchtigte sich jedoch genauso unverhofft, wie sie gekommen war, als Mercadier mit einem misstrauischen Stirnrunzeln in die Knie ging, eines der Schriftstücke aufhob und es entrollte, um den Inhalt zu überfliegen. Da es sich um die im Auftrag John Lacklands angefertigte, falsche Chronik handelte, die dem jungen Chronisten mehr und mehr Unbehagen bereitete, musste er sich zwingen, dem Soldaten den Bericht nicht aus der Hand zu reißen. »Was ist das?«, fragte dieser mürrisch. Und mit beinahe schmerzhafter Erleichterung begriff Devizes, dass der Riese nicht lesen konnte. Mit weichen Knien hob er den Rest der Schriftstücke auf und nahm Mercadier mit einem höflichen Lächeln die Rolle aus der Hand. Dann erklärte er nervös: »Das ist nur ein Bericht über die Finanzen des Reiches. Furchtbar langweilig.« Nachdem der normannische General ihn kurz misstrauisch gemustert hatte, trat er näher an den jungen Mann heran und griff ihm hart in den Schritt. Mit einem gequälten Jaulen ließ Devizes die Pergamente ein weiteres Mal fallen, ging in die Knie und versuchte, die stahlharte Klaue von seiner empfindlichsten Stelle wegzustoßen. »Lasst los«, wimmerte er mit Tränen in den Augen. Doch anstatt der Bitte Folge zu leisten, verstärkte Mercadier den Druck, sodass Richard of Devizes stöhnend weiter nachgab, um den Schmerz zu lindern. »Ich weiß, dass Ihr mit Lackland unter einer Decke steckt«, zischte der Normanne, dessen schmale Lippen einem Strich glichen. »Sollte ich Euch jemals dabei überraschen, wie Ihr gegen den König intrigiert, dann gnade Euch Gott!« Mit dieser Drohung ließ er den Chronisten fahren, wischte sich angewidert die Hand an den Beinlingen ab und stampfte leise fluchend in Richtung Treppe davon.
Devizes, der – kaum hatte Mercadier ihn freigegeben – schluchzend zu Boden gesunken war, kämpfte mit dem Drang, sich zu übergeben. Der stechende Schmerz zwischen seinen Beinen schwächte sich quälend langsam zu einem dumpfen, pochenden Gefühl ab, das sich in seinem gesamten Körper auszubreiten schien. Mehrere Minuten lang lag er zusammengekauert auf den Steinquadern, ehe sich das Gefühl so weit verzogen hatte, dass er unter kalten Schweißausbrüchen die Schriftstücke einsammeln und den unterbrochenen Weg fortsetzen konnte. Humpelnd schlich er den Gang entlang, bis er schließlich seine eigene bescheidene Kammer erreicht hatte, wo er sich versicherte, dass der Riegel eingerastet war. Dann erst ließ er sich stöhnend auf die schmale Bettstatt sinken. Warum nur hatte er sich auf den Handel mit Prinz John eingelassen?, schalt er sich zum unzähligsten Mal. Die Gewissensbisse, die ihn von Anfang an geplagt hatten, hatten sich inzwischen so weit verstärkt, dass er um seinen Verstand fürchtete. Als er Lackland vor einigen Tagen damit konfrontiert hatte, dass er nicht mehr gewillt war, den Ruf des Königs mit den gefälschten Berichten zu beschmutzen, hatte John ihm rundheraus damit gedroht, dass er schon viel zu tief in die Sache verstrickt sei, als dass er jetzt noch einen Rückzieher machen könnte. »Ihr habt wohl vergessen, was Löwenherz
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