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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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mit Hochverrätern zu machen pflegt?«, hatte der Bruder des Königs gehöhnt und ihm das Tintenfass hingeschoben, in das Richard of Devizes resigniert den Federkiel getaucht hatte, um die Worte festzuhalten, die Lackland ihm diktierte. Da er nicht so enden wollte wie Guillaume of Huntingdon und die anderen Helfer des Prinzen, würde er wohl oder übel gute Miene zum bösen Spiel machen müssen! Während sich das Pochen in seinem Unterleib immer mehr abschwächte, schloss der Chronist die Augen und fragte sich, warum um alles in der Welt er jemals sein Kloster verlassen hatte.

Die Normandie, Les Andelys, Anfang April 1197
     
    »Beeindruckend!« Voller Stolz drosch Richard Löwenherz seinem Halbbruder auf die Schulter, sodass dieser leicht in die Knie ging. »Ein wahres Camelot!« Um die zusammengekniffenen Augen vor der gleißenden Sonne zu schützen, die sich in Werkzeugen und Verschalungsteilen fing, hob er die Rechte an die Stirn und ließ den Blick über die Baustelle wandern. Deren rasende Fortschritte erfüllten offenbar selbst den Planer des mächtigen Château Gaillard mit Ehrfurcht. Auf dem Weg in das an die Grafschaft Flandern angrenzende Ponthieu – wo er sowohl Balduin von Flandern als auch dem abtrünnigen Wilhelm von Ponthieu eine Lehre erteilen wollte – hatte der König beschlossen, einen Haken nach Süden zu schlagen, um die Baufortschritte persönlich in Augenschein zu nehmen. Dort, wo die Armee von Steinhauern und Holzfällern die Natur so belassen hatte wie vor Beginn des Bauvorhabens, wiegten sich die Wipfel der Bäume in dem stürmischen Westwind, der die träge dahinfließende Wasseroberfläche der Seine zu kräuselnden Wellen aufpeitschte. Eine drei Dutzend Schiff lange Reihe wartete vor der von Walter von Rouen annektierten Zollstation in der Mitte des Flussknies darauf, dass die vom Ufer quer über den Wasserlauf gespannten Ketten nach Entrichtung des Wegegeldes eingezogen wurden, damit sie ihren Weg flussabwärts fortsetzen und ihre Fracht im Hafen von Rouen löschen konnten. Auf den Feldern nahe dem gegenüberliegenden Ufer kämpften die Pflugführer des Dorfes mit dem schweren Boden der Region, während die Leibeigenen des Bistums die ausgelesenen Steine auf Karren warfen und die zweite Saat ausbrachten.
    Die Frühlingssonne hatte bereits so viel Kraft, dass die Arbeiter ihre Übergewänder abgelegt hatten, um mit bloßem Oberkörper die Kurbeln der schweren Hebevorrichtungen zu bedienen und die unregelmäßig behauenen Steine in das Mauerwerk einzufügen. Dort, wo eine höhere Stabilität der Befestigungen vonnöten war – wie an den Kurtinen zwischen den Bastionstürmen – achteten die Männer sorgfältig darauf, nur Steine von gleicher Höhe und Größe mit Mörtel zu verbinden. An diesen Stellen hatten die Zimmerleute hölzerne Gerüste errichtet, um den Maurern den Zugang zu erleichtern. Das kehlige Geschrei der Antreiber lag in der kühlen Luft, die immer wieder von warmen Windböen durchmischt wurde. Als Richard Löwenherz die Schritte zu der Stelle lenkte, wo die Meistersteinmetze bereits mit der Arbeit an den Gewölben der Hauptburg begonnen hatten, stieß er einen bewundernden Ruf aus. Soeben waren vier Lehrlinge dabei, eine der hölzernen Schalungen, welche das Gewölbe bis zum Einsetzen des Schlusssteins stützten, zu entfernen. Auch Roland hielt unversehens die Luft an, als die von den Zimmerleuten gefertigten, aufs Genaueste zugeschnittenen Balken unter dem scheinbar in der Luft schwebenden Kunstwerk aus Stein abgesenkt wurden. »Diese Präzision«, schwärmte Richard, als das Gewölbe frei stehend das Genie seines Erbauers bezeugte. Er legte Roland den Arm um die Schultern, um auf den halb fertigen Donjon zuzusteuern. Dort angekommen erklomm er das unter ihm knarrende Gerüst – je zwei der schmalen Stufen auf einmal nehmend – und stemmte die Fäuste auf die hüfthohe Mauer. Von dort aus bot sich eine atemberaubende Aussicht auf die ausgeklügelten Verteidigungsanlagen des Kastells. »Wunderbar«, murmelte er, während er die Einfriedung der Stadt und die Verteidigungsanlagen bewunderte, die diese mit der dreihundert Fuß über Flussniveau liegenden Felsklippe verbanden, auf der seine »Tochter«, wie er den Bau liebevoll nannte, entstand. »Uneinnehmbar! Man könnte es selbst verteidigen, wenn die Mauern aus Butter wären!«
    Offensichtlich zufrieden mit den Fortschritten wandte er sich zu Roland um und fragte: »Gibt es irgendwelche Probleme?« Nach kurzem

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