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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Vielleicht sollte er diese Verstrickungen des Schicksals als positives Zeichen sehen, dass auch seine Liebe irgendwann erhört werden würde. Denn durch eine Heirat mit Jeanne de Maine würde die Großnichte der Königinmutter mit dem Bastard ihres Ehegatten vereint! Kopfschüttelnd setzte er den Weg fort, um die Arbeit der Seiler zu überprüfen. Ohne die aus Hanf hergestellten, armdicken Taue konnten weder Hebevorrichtungen errichtet noch Verbindungen zwischen den einzelnen Bauteilen hergestellt werden.

Poitiers, Abtei Sainte-Croix, Anfang Oktober 1196
     
    Mit einem bedauernden Seufzen löste sich Berengaria von Navarra aus Ralph de Beauforts Armen, um nach einem letzten Blick auf ihren Liebhaber die Beine aus dem Bett zu schwingen und in das hastig abgestreifte Untergewand zu schlüpfen, das sie achtlos über den kleinen Altar in ihrer Kammer im Südtrakt der Klosteranlage geworfen hatte. Seine Brust hob und senkte sich immer noch heftig, und auf der breiten Stirn glitzerten winzige Schweißperlen. Die Hände unter dem Kopf verschränkt, beobachtete er, wie die Königin die dunklen Locken aufsteckte, einen dünnen Schleier überwarf und mit angefeuchtetem Finger die Brauen glatt strich. Die durch das Doppelfenster hereinfallende Sonne ließ ihre Augen in einem warmen Honigton aufleuchten, als sie sich halb umwandte, um auffordernd die offene Schnürung am Rückenteil ihres Obergewandes in Ralphs Blickfeld zu rücken. »Sei nicht so träge«, schalt sie scherzend. Als Antwort darauf spannte er mit einem gespielt gequälten Stöhnen die Muskeln, zog die Hände unter seinem zerwühlten Schopf hervor und richtete sich mit der Schnelligkeit einer altersschwachen Schildkröte auf, um die Fingerkuppen über die zarte Haut zwischen ihren Schulterblättern gleiten zu lassen. Berengaria lachte. »Es hilft alles nichts«, stellte sie mit einem wehmütigen Unterton in der Stimme fest. »Du musst gehen.«
    Da die Anwesenheit eines Ritters in dem Nonnenkloster einen nur schwer zu vertuschenden Skandal darstellte, hatte Berengaria ihrer Schwiegermutter versprechen müssen, dafür Sorge zu tragen, dass Ralph de Beaufort nicht länger als ein oder zwei Tage bei ihr verbringen würde. Ansonsten würde die Äbtissin, die um das Seelenheil ihrer Schäfchen bangte, eingreifen. Mit der stattlichen Statur und den sanften blauen Augen entsprach Ralph sicherlich dem Traumbild, mit dem sich einige der Novizinnen und Ordensschwestern in unbeobachtet gewähnten Augenblicken die Befriedigung verschafften, die ihnen von Mutter Kirche bei strengster Strafe untersagt war. Mehr als einmal hatte Berengaria – als sie nachts keinen Schlaf hatte finden können – bei ihren Streifzügen durch die Klosteranlage in der Nähe des Dormitoriums Laute vernommen, die sie nur zu gut hatte zuordnen können. Wenngleich sie die gleichgeschlechtliche Liebe nicht nachvollziehen konnte, verurteilte sie die zum Teil zu ihrem Schicksal gezwungenen jungen Mädchen nicht dafür. Ihre Gedanken kehrten zu Aliénor von Aquitanien zurück. Wenn sie an das emotionsgeladene Gespräch mit der Königinmutter zurückdachte, kochte ihr immer noch die Galle über. Wie sehr sich die alte Dame in letzter Zeit verändert hatte! Vermutlich hing die Härte, die immer mehr zum Hauptzug ihres Wesens wurde, damit zusammen, dass es ihr nicht gelang, den unversöhnlichen Zwist zwischen ihren beiden Söhnen zu schlichten. Mit einem widerwilligen Seufzen griff sie hinter sich, um Ralphs Hand davon abzuhalten, tiefer zu wandern und zog sie an die Lippen, um einen Kuss auf seine Knöchel zu drücken. »Die Amme kann jeden Augenblick hier sein«, schalt sie ihn halbherzig, überprüfte den Sitz ihres Bliauds und zog die restlichen Schnüre fest. »Du solltest dir besser etwas überziehen.« Unverständliche Verwünschungen brummend, erhob er sich und schlüpfte in eine dunkelbraune Cotte , deren einfache Webart nicht zu seiner hohen Herkunft passte. In dem Moment, in dem er die bronzene Gürtelschnalle schloss, klopfte es an der Tür. Kaum hatte Berengaria ihren Geliebten mit einem letzten flüchtigen Kuss auf die Lippen in die angrenzende Kammer geschoben, betrat die Amme mit dem knapp zweijährigen Gerard den Raum.
    »Mylady.« Nachdem sie den Knaben abgesetzt hatte, verneigte sich die Magd vor der Königin und wartete auf Anweisungen. »Ich brauche dich nicht mehr«, ließ Berengaria sie wissen, während sie sich nur mühsam der stürmischen Liebkosungen ihres Sohnes erwehrte. Dieser

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