Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
Vom Netzwerk:
Nachdenken zuckte der junge Mann die Schultern und erwiderte: »Die Lebensmittel werden langsam knapp.« Er ließ den Blick zu den Erntewagen der Bauern wandern. »Aber ich denke, in absehbarer Zeit werden die Arbeiter wieder etwas schmackhaftere Beilagen zu ihren gegrillten Eichhörnchen bekommen.« Das zum Teil schimmelige, altbackene Brot war vor einigen Tagen zur Neige gegangen. Doch wenn das gute Wetter anhielt, würde die Getreideernte in wenigen Wochen so weit gereift sein, dass sie eingebracht werden konnte. Dann würden die Müller einen Großteil des Winterweizens zu Mehl verarbeiten und an die Bäcker verkaufen, die daraufhin die Baustelle wieder mit frischem Backwerk beliefern konnten. »Gut«, wechselte Löwenherz abrupt das Thema und machte Anstalten, die Plattform wieder zu verlassen. »In einer Stunde brechen wir auf. Sieh zu, dass du bis dahin bereit bist.« Ein glücklicher Ausdruck lag auf seinem Gesicht. »Komm zur Werft. Ich will noch den Galeerenbau überprüfen.« Mit diesen Worten ließ er Roland stehen, eilte die Stufen hinab und flankte über die Brüstung des untersten Treppenabsatzes. Kopfschüttelnd blickte der Knabe seinem Halbbruder hinterher, während dieser einem Naturereignis gleich durch die vor ihm zurückweichenden Reihen der Arbeiter stürmte, seinen Hengst losband und sich in den Sattel zog. Eigentlich hatte er die gute Laune des Königs ausnutzen und diesen um die Gunst eines Besuches bei Jeanne bitten wollen. Doch da Richard sich auf dem Weg nach Ponthieu befand, um den Gemahl von Alys von Frankreich – Rolands Mutter – in die Schranken zu weisen, war dies vielleicht nicht der geeignete Augenblick für solche Bitten.
    Wenn der Feldzug erfolgreich verlief, würde er einen Versuch unternehmen, die Härte des Königs zu erweichen. Aber dazu musste zuerst Wilhelm von Ponthieu für seine Frechheit bezahlen. Es war ein Jammer!, dachte Roland bedrückt. Eigentlich hatte er sich ganz gut mit dem jungen Gatten seiner Mutter verstanden. Doch da dieser durch das Bündnis mit Philipp von Frankreich Hochverrat begangen hatte, musste er bestraft werden! Mit einem letzen Blick auf das ameisengleiche Treiben im Tal wandte auch er der Mauer den Rücken und schlenderte auf seine bescheidene Unterkunft in der Nähe eines der Brunnenschächte zu, um seine Habseligkeiten zusammenzusuchen. Nachdem er Kurzschwert, Kettenpanzer und Beinschienen angelegt hatte, stülpte er den Helm auf den Kopf und steuerte auf die Stallungen zu, wo sein treuer Apfelschimmel ihn mit einem freudigen Wiehern begrüßte. »Dir ist langweilig, nicht wahr?«, flüsterte Roland in das aufgeregt hin und her zuckende Ohr des Tieres, während er die Trense in sein Maul schob. Nachdem er die Satteldecke über die Kruppe geworfen hatte, hievte er den schweren Sattel darauf und setzte den Stiefel in den Steigbügel. Manchmal fragte er sich, woher Richard eigentlich noch das Geld nahm, um diese Feldzüge zu finanzieren. Über 4 000 Silbermark hatte der Bau der Festung bisher schon verschlungen, beinah halb so viel wie die Errichtung von Dover Castle , der Schauburg Henrys II. Wenn die Rechnung, die der englische König aufgestellt hatte, aufging, würde am Ende der schwindelerregende Betrag von 18 000 Silbermark auf dem Pergament stehen – eine Summe, mit der kein Bollwerk in Europa konkurrieren konnte. Vorsichtig lenkte Roland sein Reittier durch die Sattelgasse in den Hof hinaus, wo die emsig hin und her huschenden Tragmuldenträger unter dem Gewicht des Mörtels und der Steine, die sie schleppten, stöhnten. Durch die bereits fertiggestellte Ausfallpforte ritt er den gewundenen Pfad zum Seine-Ufer hinab, um Richards Befehl Folge zu leisten. Bereits aus der Ferne erblickte er den Wappenrock des Königs, der an wendigen Kriegsschiffen entlangritt, während er sich mit William Marshal unterhielt, der ihm gestenreich etwas mitteilte.

Rom, der Vatikan, April 1197
     
    »Genug!, donnerte der greise Papst Colestin unter Aufbietung aller Kraft, brach jedoch augenblicklich in rasselndes Husten aus. Mit vor Erschöpfung zitternden Händen presste er sich ein besticktes Tüchlein vor den Mund, das sich gelbrot verfärbte, als der Auswurf, der ihm immer häufiger die Luft zum Atmen nahm, den dünnen Stoff tränkte. Die durchdringenden Augen des Heiligen Vaters lagen halb verächtlich, halb belustigt auf der Delegation, die sich am heutigen Tag vor seinem Thron eingefunden hatte. Diese hoffte, eine Entscheidung in der Streitfrage, die

Weitere Kostenlose Bücher