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Im Reich der Löwin

Im Reich der Löwin

Titel: Im Reich der Löwin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Allerdings schien ihn Richards Anwesenheit so weit zur Besinnung gebracht zu haben, dass er sich von dem ohnmächtigen Vogt abwenden und diesen den Männern des Königs überlassen konnte. Wo sich Humphrey wohl inzwischen befand?, fragte Roland sich zum wiederholten Male, während er Mühe hatte, Richards aufgeregt hin und her tänzelnden Hengst im Zaum zu halten. Vermutlich war er davongelaufen und hatte sich einer Bande Gesetzloser angeschlossen, mutmaßte er nicht zum ersten Mal. Denn ansonsten konnte er sich keinen Reim auf das hartnäckige Schweigen seines Halbbruders machen, der ihm bei harter Strafe verboten hatte, den Namen seines ehemaligen Knappen jemals wieder in den Mund zu nehmen.
    Immer wieder erstaunt über die beinah schwindelerregenden Stimmungswechsel, erfreute er selbst sich zurzeit wieder der Gunst des englischen Königs. Dieser schien die implizite Drohung gegen Roland und dessen Mutter – bereits kurz nachdem er sie geäußert hatte – wieder vergessen zu haben, da neben dem erneuten Angriff auf Philipps Festungen die etwas herbe Werbung um Balduin von Flandern offensichtlich seine gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Nachdem Graf Balduin dem englischen König durch eine Gegendelegation Antwort hatte zukommen lassen, dass er Richards Angebot überdenken musste, ehe er eine Entscheidung fällen konnte, hatte Löwenherz mit einem zufriedenen Lächeln bemerkt, dass er dieses Spiel so gut wie gewonnen hatte. »Nicht mehr lange, und Philipp wird um Gnade winseln«, hatte er in Hochstimmung bemerkt. Dann waren sie nach Süden aufgebrochen, um dem französischen König mit der Umzingelung von Gisors einen Schrecken einzujagen, von dem dieser sich so schnell nicht erholen würde. Als Roland den Blick über die erhitzten und zufriedenen Gesichter der englischen Krieger schweifen ließ, blieb er an der imposanten Gestalt Otto von Braunschweigs haften. Dieser bahnte sich wenig zimperlich einen Weg durch die grölenden Fußsoldaten, um sich zu seinem Onkel zu gesellen. Nachdem er in der Gefolgschaft John Lacklands einige militärische Erfolge errungen hatte, war er von Richard zurückbeordert worden, weil er – das hatte Roland den Bemerkungen des Königs entnehmen können – um das Leben des jungen Mannes fürchtete. Denn inzwischen war ans Licht gekommen, dass Ranulf of Chester hinter der Entführung der bretonischen Herzogin Konstanze steckte. Richard verdächtigte – vermutlich zu Recht – seinen Bruder John Lackland. Da dessen Einfluss in England nicht zu unterschätzen war, schien eine Mittäterschaft des intriganten Prinzen durchaus denkbar. Was dazu geführt hatte, dass er ein noch wachsameres Auge auf seinen jüngeren Bruder hatte als zuvor. Als Roland gerade seinen Wallach wenden wollte, um Richards Hengst abzureiben und zu tränken, ließ ihn ein lautstarker Tumult zu seiner Linken neugierig auf ein Knäuel heftig streitender Männer zureiten. In dessen Mitte versuchte ein Franzose erfolglos, sich gegen fünf englische Soldaten zur Wehr zu setzen. Aus sicherer Entfernung beobachtete er, wie der Normanne Mercadier dem Mann in voller Rüstung den Arm auf den Rücken drehte, sodass dieser vor Schmerz brüllte und den Oberkörper nach vorn beugte, um den Widerstand zu verringern.
    »Ihr vergreift Euch an einem Kirchenmann, Ihr gottloser Heide!«, zeterte der Gefangene. Ein winziges, weißes Kreuz über der linken Brust des Wappenrockes des Protestierenden ließ Roland vermuten, dass dieser die Wahrheit sprach. Aber Mercadier, der den Franzosen – ohne auf dessen Toben und Wüten zu achten – auf die Stelle zustieß, an der Richard Löwenherz sich im Schatten einer Linde erfrischte, lachte lediglich freudlos und trieb ihm das Knie in die Nieren. Obschon diese von einem starken Kettenpanzer geschützt waren, hinterließ der Kniedorn des Normannen eine deutliche Vertiefung in der Rüstung des heiser aufschreienden Ritters. Lediglich die Pranke seines Peinigers hielt ihn davon ab, zu Boden zu sinken. Mit einer schmerzverzerrten Grimasse erinnerte Roland sich an die Bestrafung durch den Hünen. Als Mercadier seine Beute brutal vor Richard Löwenherz auf die Knie zwang, tat ihm der Franzose beinahe leid. »Sieh an, wen haben wir denn da?«, fragte der englische König, nachdem er den Becher abgestellt hatte, den einer der unzähligen Pagen ihm mit kühlem Wein gefüllt hatte. »Philipp von Beauvais!« Mit einem raubtierhaften Blecken der Zähne trat er auf den trotzig zu ihm aufblickenden

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