Im Reich der Löwin
Gefangenen zu und betrachtete ihn einige Momente lang mit so viel Abscheu, dass Roland den Atem anhielt. Dann trat er ihm so hart ins Gesicht, dass der Mann mit gebrochener Nase hintenüberfiel. »Seid Ihr von Sinnen!«, brauste dieser auf, nachdem er sich wieder aufgerappelt hatte. Aus der bereits anschwellenden Nase rann ein dicker Blutstrahl, der sich an seinem Kinn zu Tropfen sammelte und auf das junge, vom Kampf niedergetrampelte Gras fiel. »Ihr könnt einen Diener der Kirche nicht gefangen nehmen!«, spuckte er aus. Doch bevor er erneut Atem schöpfen konnte, holte Richard ein weiteres Mal aus und schickte ihn erneut zu Boden. »Ihr wagt es?«, knurrte er drohend und legte die Hand auf den Knauf seines Schwertes. »Ihr wagt es, mir zu sagen, was ich tun kann und was nicht?!« Mühsam kam der Gefangene erneut auf die Knie, verharrte dieses Mal jedoch heftig atmend mit gesenktem Kopf vor dem Engländer, der deutlich mit der Versuchung rang, ihm auf der Stelle die Waffe in die Brust zu treiben. »Philipp von Beauvais«, zischte er nach einigen Augenblicken des angespannten Schweigens, bevor er sich an Otto und William Marshal wandte und triumphierend ausstieß: »Hattet Ihr nicht behauptet, der rote Regen sei ein böses Omen?«, fragte er heiser. Als vor wenigen Tagen ein Schauer blutroten Regens gefallen war, hatten viele der abergläubischen Männer gemunkelt, Richards Niederlage sei besiegelt, da Gott sich gegen ihn gestellt habe. Roland schauderte bei der Erinnerung an das unheimliche Naturereignis. »Da seht Ihr, was für ein Omen es war«, frohlockte Löwenherz. »Gott hat uns ein Zeichen gesandt!« Der vor ihm kauernde Bischof von Beauvais zuckte bei diesen Worten kaum merklich zusammen, da ihm klar war, was die Worte des Engländers zu bedeuten hatten.
»Schafft ihn in den tiefsten Kerker, den Ihr finden könnt«, befahl er Mercadier, der den Gefangenen hart auf die Beine riss. »Und veranlasst eine Botschaft an den Papst, dass wir diesen Mann in voller Rüstung als Krieger und nicht in seiner Funktion als Diener der Kirche gefangen genommen haben«, setzte er mit einem schadenfrohen Lächeln hinzu. »Sonst kommen die Verbündeten dieses«, er zögerte einen Augenblick, bevor er das richtige Wort fand, »Subjekts noch auf die Idee, er sei unantastbar!« Bei der Ironie dieser Worte brachen viele der Umstehenden in schallendes Gelächter aus. Auch Roland, der inzwischen viele Geschichten aus dem Zug ins Heilige Land gehört hatte, wusste, was sein Halbbruder damit meinte. Der ebenfalls in Palästina – allerdings in Philipps Gefolgschaft – kämpfende Bischof von Beauvais war es gewesen, der das Gerücht gestreut hatte, Richard sei für die Ermordung Konrads von Montferrats, des ehemaligen Königs von Jerusalem, verantwortlich. Was im Endeffekt dazu geführt hatte, dass der Papst die Augen verschlossen hatte, als Leopold von Österreich den nach den Gesetzen der Kirche eigentlich unantastbaren Kreuzfahrer auf der Heimreise aus dem Heiligen Land gefangen genommen hatte. Bei dem Gedanken an das Schicksal des Bischofs legte sich eine Gänsehaut über Rolands Arme. Wenn er den Blick in Mercadiers schwarzen Augen richtig deutete, standen dem Bischof dunkle, schmerzerfüllte Stunden bevor. Gerade wollte Richard Löwenherz sich wieder den Erfrischungen zuwenden und herzhaft in ein Stück kalten Braten beißen, als ein aufgeregter Bursche auf ihn zugestolpert kam, linkisch das Knie beugte und keuchend hervorstieß. »Der Earl of Leicester! Kommt schnell! Er verblutet!«
Paris, der Louvre, Mai 1197
»Er ist mit dem Teufel im Bunde!« Die Stimme des französischen Königs überschlug sich beinahe, als er mit geballten Fäusten im Audienzsaal der Königsburg in Paris auf und ab ging. Sein kurzer Kinnbart wippte im Rhythmus der an seiner Unterlippe nagenden Zähne auf und ab. Durch die Fenster des Wohnbaus, dessen unzählige Türmchen und Dächer dafür gesorgt hatten, dass das Bauwerk entgegen allen Planungen immer noch nicht ganz fertiggestellt war, fiel strahlender Sonnenschein auf den polierten Steinboden. Doch die düstere Stimmung des kleinwüchsigen Königs schien alle Helligkeit zu vertreiben. Vor den mächtigen Außenmauern war eine Abteilung Armbrustschützen damit beschäftigt, ihre Zielsicherheit zu verbessern, während im Hintergrund vereinzelte Bauern die Felder pflügten. »Erst Milli, dann Dangu und jetzt Paris?!« Empört schleuderte er die Nachricht ins Feuer und ließ sich schwer zurück in
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