Im Reich der Löwin
zu bringen und ihn für immer im Innern ihres Herzens zu verschließen, wo sie ihn in Stunden der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit aufsuchen konnte. Nachdem sie den tröstlichen Duft der Blüte ein weiteres Mal eingesogen hatte, steckte sie diese in den Gürtel ihres Gewandes und zog das strenge Gebende unter ihrem Kinn zurecht. Ob sie sich jemals an dieses störende und kneifende Kleidungsstück gewöhnen würde?, fragte sie sich, vertrieb den Gedanken jedoch augenblicklich, als sie Berengaria von Navarra erblickte, die soeben in Begleitung von Catherine of Leicester und Lady Marian den Garten betrat. Offensichtlich waren die Damen aus Rouen zurückgekehrt, wo sie der Trauung von Johanna Plantagenet beigewohnt hatten.
»Jeanne!«, trompetete Catherine undamenhaft, kaum hatte sie die junge Frau erblickt und eilte mit einem strahlenden Lächeln auf sie zu, um ihr voller Überschwang um den Hals zu fallen. »Hat sich der alte Drache endlich erweichen lassen?«, fragte sie respektlos und verzog die Nase, als sie Jeannes Erscheinung von oben bis unten abtastete. »Was für ein scheußliches Gewand!« In ihren Augen lag ein beinahe schelmischer Ausdruck. Und als Jeanne die Freundin ebenfalls etwas genauer in Augenschein nahm, erkannte sie den Grund für die überschwängliche Freude der jungen Lady of Leicester, den selbst der kunstvoll gewählte dunkelbraune Brust- und Rückenteil ihres Bliauds nicht kaschieren konnte. »Du erwartest ein Kind«, stellte Jeanne sachlich fest, hakte sich bei Catherine ein und schlenderte Berengaria von Navarra und Lady Marian entgegen, die voller Mutterstolz ihren Sprössling auf dem Arm trug. »Mylady«, begrüßte Jeanne die Königin, die ihr, ohne zu zögern, die Hände reichte und mit aufrichtiger Herzlichkeit feststellte: »Jeanne, wie schön. Wir haben Euch vermisst.« Obwohl sie bei dieser Bemerkung errötete und den Blick zu Boden senkte, fiel der jungen Frau die Sorge auf, die auf den Zügen der Spanierin deutliche Spuren hinterlassen hatte. Die bisher glatte, hohe Stirn war von zwei tiefen Falten durchzogen, die – ebenso wie die scharfen Linien um ihren Mund – von Kummer und Schmerz zeugten. Zu schüchtern, die englische Königin nach ihrem Befinden zu fragen, nahm Jeanne an, dass Richard Löwenherz etwas mit dem Gemütswandel der vormals lebensfreudigen und temperamentvollen Berengaria zu tun haben musste, und verfluchte ihn zum wohl tausendsten Mal seit ihrer Trennung von Roland. Wohl wissend, dass sie sich allein mit diesen Gedanken des Hochverrats schuldig machte, bemühte sie sich, ihre Abneigung gegen den König mit keinem Wimpernzucken zu verraten und wandte sich Lady Marian zu, um ihrem schlafenden Sohn sanft über den Kopf zu streichen. Wie weich sein Haar war!, dachte sie. Aber im selben Augenblick überkam sie eine beinahe körperlich spürbare Trauer, die ihr die Kehle zuschnüren wollte. Sie würde niemals dieses Glücksgefühl empfinden, das sie deutlich in den Augen der beiden Mütter lesen konnte! Niemand würde ihr jemals sagen, wie ähnlich ihr Sohn seinem Vater war, oder wie deutlich man sah, dass er der Spross eines Plantagenets war! Mühsam schluckte sie die Tränen, die in ihr aufsteigen wollten, und zwang sich, ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Gespräch zwischen Catherine und Berengaria zu lenken.
»Wie gesagt«, bemerkte Catherine soeben. »Euer Gemahl plant einen baldigen Einzug.« Das Zucken ihrer Schultern und die heruntergezogenen Mundwinkel verrieten Jeanne, dass es sich offensichtlich um eine Nachricht handeln musste, die Berengaria nicht gerade mit Begeisterung erfüllte. »Er hat ausdrücklich Befehl gegeben, dass Ihr ihm dorthin folgen sollt.« Bevor Jeanne begriffen hatte, worum es sich handelte, brauste Berengaria mit Tränen in den Augen auf: »Was will er mir denn noch alles nehmen! Erst meinen Sohn, dann meine Freiheit!« Sie schlug mit einem Schluchzen die Hände vor den Mund und ließ sich auf eine der Bänke sinken. Betroffen tauschten die drei Frauen einen Blick, bevor Catherine vor der heftig weinenden Königin in die Knie ging, um ihr die Hand auf den Arm zu legen. »Euren Sohn?«, fragte sie schüchtern. »Ich dachte, Gerard sei hier bei Euch.« Ohne den Blick zu heben, schüttelte Berengaria den Kopf. »Nein«, flüsterte sie. »Ralph hat ihn aus Furcht vor ehrgeizigen Neidern in Sicherheit gebracht.« Sie schluckte trocken. »Richard kann nichts dafür«, seufzte sie nach einigen Augenblicken des Schweigens resigniert.
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