Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin
sie hatte schnelle und auch saubere Arbeit gemacht, denn die Wunde und ihre Umgebung war so rein, als ob sie abgewaschen worden wäre. Auch an der Kleidung war kein Blutflecken zu sehen. Winnetou legte den Finger auf die Stelle, wo die Kugel eingedrungen war, drückte einige Male darauf und meinte dann: »Wird mir mein Bruder Scharlieh erlauben, die Kugel und ihren Weg zu suchen?« »Natürlich! Komm her!« Ich machte ihm
an der Leiche Platz; er zog sein Messer und begann die traurige Arbeit, vor welcher ich mich zwar gescheut, die ich aber doch auch vorgenommen hätte. Nämlich ich wusste, was er dachte; ich hatte denselben Gedanken wie er. Es sollte Selbstmord vorliegen; dieser hätte nur mit der Rechten vorgenommen werden können, da es dem jetzt Toten unmöglich gewesen wäre, mit der verletzten und verbundenen linken Hand zu schießen. Es kam also darauf an, welcher Richtung die Kugel im Körper gefolgt war, woraus sich dann schließen ließ, ob ein Schuss mit der rechten Hand als Tatsache angenommen werden könne. Winnetou war ein erfahrener und außerordentlich geschickter Chirurg. Er operierte mit seinem langen, starken und scheinbar ungefügen Bowiemesser so zart, so vorsichtig und sorgfältig, wie ein studierter Arzt es mit den feinsten Instrumenten nicht besser hätte machen können. Das ging freilich langsam; erst nach einer halben Stunde kannten wir den Weg, den die Kugel eingeschlagen hatte; sie saß hinten an der letzten linken wahren Rippe. Der etwas abwärts gehende Schuss konnte also unmöglich mit der rechten Hand abgegeben worden sein. Der Apache richtete sich auf, hielt uns seine Hand mit der Kugel entgegen und sagte nur das eine Wort: »Mord!« »Well!« stimmte Emert bei. »Hier liegt kein Selbstmord vor. Eine solche Richtung nimmt die Kugel nur, wenn mit der linken Hand geschossen wird, und mit dieser hat er unmöglich schießen können.« »Also ist Melton der Mörder!« fügte ich hinzu. 2 »Das habe ich sogleich gedacht, und ihr seid wohl alle derselben Meinung gewesen. Es ist eine traurige Arbeit, der wir uns hier zu unterziehen haben. Es schaudert mich; aber wir dürfen uns ihr nicht entziehen. Es muss unbedingt festgestellt werden, wer der Tote ist. Ziehen
wir ihm die Schuhe aus; wir müssen die Zehen sehen!« Dies geschah. Ja, er hatte an jedem Fuße sechs, anstatt einer kleinen deren zwei, die beide ganz richtig ausgebildet waren, nur dass der zweiten der Nagel fehlte. Sonst fanden wir am ganzen Körper nichts, kein Mal, kein sonstiges Zeichen, welches zur Feststellung der Persönlichkeit hätte dienen können.
Zwei entscheidende gerichtsmedizinische Maßnahmen werden hier beschrieben. Zunächst die Identifikation einer Leiche. Dass dies wichtig ist, leuchtet ein; charakteristische Körpermerkmale sind dazu besonders geeignet. Überzählige Finger oder Zehen sind äußerst häufige Fehlbildungen, können aber heutzutage meist leicht chirurgisch schon beim Kleinkind korrigiert werden. Die Rekonstruktion eines Schusskanals erfolgt durch Präparation der Organschichten von der Hauteinschussstelle bis zum Ausschuss bzw. dem stecken gebliebenen Projektil. In der Regel wird das Ergebnis in eine Körperzeichnung eingetragen, wonach man abschätzen kann, ob der Schuss vom Getroffenen selbst und wenn ja in welcher Position und mit welcher Hand abgegeben wurde. Bei Schussverletzungen durch fremde Hand ist es am einfachsten, die Schusskanäle an einer menschengroßen Puppe aus geflochtenem Material mittels durchgesteckter Holzstäbe zu demonstrieren. So kann der Gerichtsmediziner etwa im Zuge einer Verhandlung die Geschworenen eindeutig informieren und stark beeindrucken.
Knochenexperten am Werk oder das österreichische Schicksal von Skeletten
Die im Folgenden erzählten Ereignisse sind nicht von Thomas Bernhard erfunden, sondern Realsatire aus Österreich. Manche Sachen lassen sich eben nicht erfinden!
Zwei Wochen im Februar
Ende Januar 1996 stießen Bauarbeiter bei Aushubarbeiten für ein Wasserkraftwerk in Oberösterreich bei Lambach an der Traun auf menschliche Skelette. Das kommt an Baustellen nicht so selten vor, aber an jener Stelle war es etwas anderes. Es gab dort im Jahre 1945 einmal eine Durchmarschroute, auf der KZ-Häftlinge von den Naziverbrechern nach Westen getrieben wurden. Viele dieser geschundenen Menschen sind dabei gestorben oder wurden einfach erschossen und an Ort und Stelle verscharrt. Zum anderen errichteten wenige Monate später amerikanische
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