Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin
Zentralämter, sind von höchst beschränktem Wert. Es gibt kaum eine Urkunde, die auf so unsicherer Grundlage steht wie die Angaben der Totenbeschauscheine. Ein amerikanischer Vorschlag, der Ironie mit bitterer Erkenntnis vermischt, hat gelautet: Man müsste öfter ehrlicherweise in den Totenbeschauschein hineinschreiben » a-g-k«, d. h. »alone god knows«.
7. Die Qualitätskontrolle
Obduktionen sind Qualitätskontrollen der Methoden der modernen Medizin, nicht Kontrollen der Diagnostik. Es geht auch nicht so sehr um Kontrolle als vielmehr um Sicherung der Qualität, um die Tücken der Diagnosefindung, die Wege und Irrwege der Tumorsuche, die Verhütung von Komplikationen. Es muss vor allem auch der Therapieaufwand und Therapieeffekt analysiert werden, insbesondere die Nebenwirkungen, und damit die Lebensqualität der Patienten.
Durch eine Obduktion erfolgt sehr häufig auch eine Kontrolle der diagnostischen Qualität des Pathologen selbst. Jeder Befund, der zu Lebzeiten des Patienten erstellt wurde und auf dem die klinischen Überlegungen aufbauten, wird anlässlich der Obduktion überprüft und kritisch bewertet.
Die diagnostische Fehlerrate eines durchschnittlichen Pathologen, der noch das Gesamtfach betreut, also nicht ein Organspezialist ist, beträgt etwa 0,1 %. Organspezialisten sind jenseits ihres eigenen Gebietes manchmal allerdings hilflos.
Die Sicherung der Gesundheit der Bürger und ihrer medizinischen Betreuung durch den Staat ist jedoch nicht nur eine politische oder rechtliche, sondern vor allem auch eine moralische Pflicht. Jeder Verstorbene und die Hinterbliebenen haben zu erwarten, dass der Staat durch die Anordnung der Obduktion ein letztes Mal als ihr Sachwalter auftritt. Vor diesem Hintergrund hat der Münchener Gerichtsmediziner Wolfgang Spann die Frage aufgeworfen, »inwieweit für die Rechtsbehörde nicht eine gewisse moralische Fürsorgepflicht für einen verstorbenen Mitbürger besteht, der in der Regel sein Leben lang Steuern bezahlt hat, nach Beendigung des Lebens darauf zu achten, dass alles seine Richtigkeit gehabt hat.« Es ist nämlich ein ausgesprochen dummes Argument, wenn man hin und wieder hört, »das macht ihn auch nicht mehr lebendig«. Solches führt nur zum chaotischen und fatalistischen »Es ist alles egal!« Hinzu kommen noch rechtspolitische Probleme. »Geht es um die gesetzliche Reglementierung neuer Forschungsrichtungen wie z. B. künstliche Befruchtung, Forschung an Embryonen oder gentechnische Methoden, überschlägt sich die Gesetzgebung in kürzester Zeit geradezu. Geht es dagegen um Probleme im Zusammenhang mit Sterben und Tod des Menschen..., so stößt man auf eine zurückgezogene Ruhe und Bedächtigkeit.« Dies wird doch nicht daran liegen, dass manche sich schwer tun, mit Verstorbenen Wählerstimmen zu requirieren. Vielleicht sollten doch mehr Augenärzte
auch Totenbeschauer werden, um gleichzeitig einigen kurzsichtigen Politikern die Augen zu öffnen.
Wir diskutieren zu viel und überzeugen zu wenig,
wir glauben zu viel und sezieren zu wenig.
Ein weicher Glaube ersetzt nicht harte Fakten,
denn »Glauben« heißt bekanntlich »Nicht-Wissen«.
Die Zählung der Toten
Statistiken sind in Bezug auf Todesursachen unbrauchbar und falsch, denn jede dritte bis vierte ärztliche Diagnose ist unrichtig. Jeder Sachkundige weiß das, kein Gesetzgeber unternimmt etwas.
Sogar die Zählung der Toten stimmt nicht immer. Beispiel: Am 11. Juni 2000 war ein 62-jähriger Mann in Wien aus der Garage gefahren und gegen einen vis-à-vis geparkten Wagen gekracht. Der Lenker war tot. Das zuständige Polizeiwachzimmer machte eine Meldung über den tödlichen Verkehrsunfall, wobei die Hausnummer der Garage angegeben wurde. Das Verkehrsunfallkommando verfasste auch eine Meldung, in der jedoch die Nummer des Hauses gegenüber der Garage angeführt wurde. Fazit: Aus einem Toten wurden in der Statistik zwei.
Auch die Reaktionen der Öffentlichkeit über die Zahl der gewaltsamen Todesfälle ist sehr unterschiedlich. Eine Katastrophe wie jene im Seilbahntunnel von Kaprun ereignet sich in Österreich durchschnittlich alle zwei Monate: Am Kitzsteinhorn gab es 155 Tote, das ist ungefähr das Ergebnis zweier durchschnittlicher Monate im österreichischen Straßenverkehr. Das Leid ist da wie dort um nichts geringer, nur rücken bei den Trauerfeiern für die Verkehrsunfälle keine Erzbischöfe aus. Warum wird nach der Brandkatastrophe von Kaprun sofort und laut nach Maßnahmen gerufen, um
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