Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin
Trommelrevolver umfasst. Der Nacken war stark aufgetrieben, aus dem Mund ragten Reste einer Zahnprothese, das Gesicht war entstellt und bläulich verfärbt. Die Körpertemperatur war warm, die Totenstarre war noch nicht eingetreten. Auf Grund der Beschaffenheit der Leiche dürfte der Tod um 13.00 bis 13.15 Uhr eingetreten sein...«
Selbstverständlich wurde der Leichnam über Auftrag des Kreisgerichtes Wiener Neustadt obduziert. Das Sektionsprotokoll schließt mit folgendem Gutachten:
»…Karl Lütgendorf ist infolge Schussbruches der oberen Halswirbelsäule mit Zertrümmerung des Rückenmarkes aus gewaltsamer Ursache gestorben. Nach dem Ergebnis der Leichenöffnung in Zusammenhang mit den weiteren Feststellungen (Sachverhaltsmappe) hat sich Lütgendorf die Schussverletzung nach Einführen der vorliegenden Tatwaffe in den Mund beigebracht. Der Einschuss fand sich im Bereiche der Rachenhinterwand, der anschließende Schusskanal verlief von hier ausgehend
bis in die Nackenweichteile. Anteile des zersplitterten Projektils fanden sich in der Mundhöhle, insbesondere aber am Ende des Schusskanals. Die Schussverletzung hat einerseits zu einem Trümmerbruch des 1. und 2. Halswirbels mit vollständiger Zertrümmerung und Abquetschung des entsprechenden Anteiles vom Rückenmark, andererseits zu Brüchen des Gesichts- und Hirnschädels mit Gehirnquetschung, geführt. Verletzungsfolge ist die allgemeine Blutarmut der Organe, die Bluteinatmung in die Lunge sowie die mikroskopisch nachgewiesene geringe Fettembolie der Lunge.
Die Leichenöffnung ergab im Weiteren einen dem Lebensalter entsprechenden unauffälligen Organbefund …
Nach dem beiliegenden Befund des Institutes für Gerichtliche Medizin der Universität Wien war im Blut kein Alkohol nachzuweisen.
Die Schussverletzung hat ihrer allgemeinen Natur nach zum Tode geführt, dessen Eintritt auch bei sofortiger und sachgemäßer ärztlicher Hilfeleistung nicht hätte abgewendet werden können. In Würdigung aller Umstände des Falles handelt es sich um einen Selbstmord...«
Von den Verfechtern der Mordtheorie, übrigens alles medizinische Laien, wurde argumentiert, dass bei Selbstmord die Waffe durch den Rückstoß weggeschleudert sein müsste und der tote Lütgendorf den Revolver nicht in Händen gehalten hätte. Das ist eine falsche Schlussfolgerung. Die Tatwaffe war ein großkalibriger Revolver der Marke Smith & Wesson -. 357 Magnum. Um den Lauf in den Mund zu stecken muss man die Waffe umdrehen, wobei der Griff nach oben zeigt, und mit dem Daumen abziehen. Am Lenkersitz eines Lada Taiga ist es nicht sehr geräumig, sodass der Revolver am einfachsten mit beiden Händen vor der Brust gehalten wird und der Schütze den Kopf darüber beugt. Das Projektil trifft dann die Rachenhinterwand und das oberste Halsrückenmark. Der beim Abzugsbügel eingehakte
Daumen und die beiden das Griffende umfassenden Hände, die auf den Oberschenkeln abgestützt sind, verhindern, dass der Rückstoß die Waffe wegschleudert.
Im Jahr 1989 wurde der »Fall Lütgendorf« von Schießsachverständigen und Gerichtsmedizinern nachuntersucht und kein Anhaltspunkt gefunden, am Selbstmord zu zweifeln. Das Motiv bleibt allerdings ungeklärt und daher gedeihen die Spekulationen weiter.
Adalbert Stifter, der Selbstmörder, der keiner war
Der »Selbstmord« Adalbert Stifters durch einen Rasiermesser-Schnitt in den Hals wurde erst viele Jahre nach seinem Tod öffentlich. So oder ähnlich steht es in vielen Biografien und Lexikonartikeln. Die Selbstmordanschuldigung ist aber falsch.
Adalbert Stifter (1805-1868) war ein verbummelter Jusstudent ohne Abschluss, ein Privatlehrer und Maler, Naturwissenschaftler und Denkmalpfleger, später Schulinspektor und Hofrat. Mit seinen Natur- und Landschaftsbeschreibungen wurde er einer der größten Sprachkünstler deutscher Prosa. Er trank von Jugend an viel Alkohol. Aus einem Brief geht hervor, dass sein jährlicher Bedarf 8-10 Eimer Tischwein und etwa 60-80 Flaschen feineren Weines betragen hat - das sind etwa 620 Liter.
Eigentlich stimmen alle medizinischen Berichte überein, dass Stifter an einer Leberzirrhose gelitten hatte. Die alles entscheidende Frage ist aber: Hat Stifter Selbstmord begangen? Der vom Totenbeschauer Dr. Keinzelsberger ausgestellte »Todten-Beschau-Zettel« gibt als letzte Krankheit an »Zehrfieber nach Leberverhärtung«, der »Totenschein« des behandelnden Arztes Dr. Essenwein »Zehrfieber infolge chronischer Leberatrophie«. Das
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