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Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin

Titel: Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bankl
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»Fieber« könnte eine aufgeflackerte Tuberkulose sein. Von einem Selbstmordversuch ist keine Rede, das kirchliche Begräbnis wurde anstandslos gestattet.
    Bereits bei der Beerdigung soll jedoch das Gerücht des Selbstmordes
umgegangen sein. Was war tatsächlich geschehen? Stifter, zum Skelett abgemagert, war schon über ein Monat bettlägerig, er hatte Fieber. In der Nacht vom 25. zum 26. Januar 1868 fügte er sich mit einem Rasiermesser eine stark blutende Wunde am Hals zu. Daraus wurde in den Erzählungen der Menschen »eine blutstarrende Wunde«, ja sogar, dass das »zum Teil abgetrennte Haupt« vor Abnahme der Totenmaske abgestützt werden musste, wurde kolportiert. Der behandelnde Arzt, Dr. Essenwein, stellte jedoch klar: »Ich bin um 1 Uhr in der Nacht gerufen worden, habe die aufgeschnittene Hautstelle zusammengenäht und die Blutung gestillt. Der Schnitt war an und für sich nicht tödlich, aber der Tod war auch ohne diese im Anzuge und auch ohne diese Ungeduld von Seite des Kranken wäre der Tod bald erfolgt.«
    Wenn eine Schnittverletzung am Hals ein oder mehrere große Blutgefäße eröffnet, tritt der Tod innerhalb weniger Minuten ein. Es kann also nur eine seichte Schnittwunde gewesen sein, denn Stifter lebte noch zwei Tage. Man weiß aber, dass Patienten im Endstadium einer Leberzirrhose zum einen häufig die Orientierung verlieren und zum anderen oft aggressive Handlungen setzen. Das Ereignis der Schnittverletzung passt genau ins Bild. Die Blutung war sicherlich schwer zu stillen, denn bei einer Leberzirrhose ist die Blutgerinnungsfähigkeit gestört. Wir können also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen, dass die Schnittverletzung im Stadium des Leberversagens als eine nicht mit klarem Bewusstsein gesetzte Handlung erfolgt ist. Selbstverständlich werden die Angehörigen versucht haben, den Zwischenfall mit dem Rasiermesser zu vertuschen, um eine Legendenbildung auszuschalten. Es ist aber auch nicht verwunderlich, dass genau das Gegenteil erreicht wurde.
    Was ist nun gesichert? Zweifelsfrei die Leberzirrhose nach entsprechendem Alkoholabusus und der Tod durch Leberversagen. Den letzten Anstoß dafür ergab der Blutverlust durch die

    Schnittwunde am Hals, welche für sich allein nicht tödlich war. Alles zusammen genommen, handelte es sich um geläufige Komplikationen einer schweren Leberkrankheit. Aber wie schrieb Hans Weigel (1908-1991) so richtig: »Stifter ist auch ohne interessanten Tod interessant genug.«

Onkel Alf und Nichte Geli

Der Schuss ins Herz ging daneben
    Das kommt davon, wenn es keine kriminalistische Untersuchung und keinen gerichtsmedizinischen Obduktionsbefund gibt. Dann entstehen Gerüchte und Legenden, vor allem bei Personen des öffentlichen Interesses. Einen besonderen Anziehungspunkt gewinnt eine solche Geschichte dann, wenn zwei Aspekte zusammenkommen: sex and crime .
    Es geschah am Samstag, den 19. September 1931, in München, Prinzregentenplatz 16. Die 23-jährige Geli (Angela) Raubal wurde in ihrem Zimmer in der Wohnung des nationalsozialistischen Politikers Adolf Hitler erschossen aufgefunden. Sie war die Tochter seiner Halbschwester (aus des Vaters zweiter Ehe) und nannte ihn »Onkel Alf«. Das Verhältnis der beiden zueinander ist bis in die Gegenwart durch wüste Spekulationen dramatisiert worden. Im offiziellen Polizeibericht steht: »Die Leiche lag in dem Zimmer mit dem Gesicht auf dem Boden vor dem Sofa, auf dem sich eine Waltherpistole 6,35 mm befand. Polizei-Arzt Dr. Müller stellte fest, dass der Tod durch einen Lungenschuss, und zwar der Totenstarre nach schon vor mehreren Stunden, eingetreten war. Es handelte sich um einen Nahschuss, der im Ausschnitt des Kleides unmittelbar auf der Haut angesetzt und oberhalb des jedenfalls nicht getroffenen Herzens eingedrungen war; das Geschoss war nicht aus dem Körper ausgetreten, aber auf der linken Rückenseite etwas über Hüfthöhe unter der Haut fühlbar.«

    Es kommt sehr häufig vor, dass ein in Anatomie ungeübter Selbstmörder bei Schuss und Stich das Herz verfehlt.
    Laut Dr. Müller hat Geli am 18. September um ca. 17 Uhr ihrem Leben ein Ende gesetzt. Weil das Geschoss ihr Herz nicht getroffen und nur die Lunge verletzt hat, ist sie wahrscheinlich an Lungenblutungen erstickt. Die Polizei fand im Zimmer keinen Abschiedsbrief, nur ein angefangenes Schreiben an eine Wiener Freundin.
    Nach dem Befund des Polizeiarztes lag eindeutig Selbstmord vor. Eine gerichtliche Autopsie der Leiche fand

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