Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Saal der Toten

Im Saal der Toten

Titel: Im Saal der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
Vom Netzwerk:
Sprünge, Mike. Gibt es jemanden, dem ich in letzter Zeit nicht auf den Schlips getreten bin?«
    »Ich bin gleich bei dir, Kid. Entspann dich.«
    Ich legte auf und steckte mein Handy wieder ein. Vorsichtshalber zog ich meinen blutbeschmierten Anorak aus und hängte ihn über einen Küchenstuhl.
    Nach drei, vier Minuten in dem stillen Haus drückte ich die Schwingtür zum Wohnzimmer auf. Anscheinend hatte Phelps den Raum überstürzt verlassen. Die große Stehlampe neben dem abgewetzten Ledersessel war noch eingeschaltet, und auf dem Tischchen dazwischen lag ein aufgeschlagenes Buch mit den Seiten nach unten. Auf einem Untersetzer stand eine halb volle Kaffeetasse.
    Ich nahm das Buch in die Hand. Es war eine wissenschaftliche Abhandlung über Platanen. Als ich darin blätterte, flatterten mehrere Hundert-Dollar-Scheine zu Boden. Ich hob sie auf, steckte sie wieder zwischen die Buchseiten und legte das Buch auf den Tisch zurück.
    Das Zimmer war nicht besonders wohnlich eingerichtet und eher ungemütlich. Ich ging zum Kamin, um mir die Fotos anzusehen. Sie zeigten durchweg Gärten oder Bäume – wahrscheinlich die Lieblingsgärten von Sinclair Phelps.
    Unruhig tigerte ich im Raum umher, vom Fenster, wo ich vergeblich nach dem Parkverwalter, Mike oder Mercer Ausschau hielt, zu den Bücherregalen an der gegenüberliegenden Wand.
    In einem Regal standen noch mehr Fotos. Ein verwegen aussehender junger Phelps auf Skiern und ein Kind auf dem Arm einer jungen Frau – vielleicht seine Mutter. Ich lächelte. Das Foto stammte eindeutig aus den sechziger Jahren – weit ausgestellte Jeans, eine Hippiebluse, lange, dünne Haare mit Mittelscheitel und ein Peace-Abzeichen auf dem Jackenärmel des Kindes.
    Draußen wurde eine Autotür zugeschlagen. Noch ehe ich an die Tür gehen konnte, war Phelps im Haus und sah mich im Wohnzimmer stehen. »Miss Cooper? Ist etwas passiert?«
    »Entschuldigen Sie bitte, Mr Phelps. Ich, äh, wir hatten ein Problem drüben im Gewächshaus.«
    »Ja, ich komme gerade von dort. Es ist alles unter Kontrolle. Was machen Sie hier?« Er sah sich im Zimmer um, als wolle er überprüfen, ob alles noch an seinem Platz war.
    »Ich wollte Ihnen sagen, dass einer der Detectives nicht in den Park kommt –«
    »Chapman? Er ist auf dem Gelände. Zeldin möchte Sie alle in seinem Büro in der Tabakmühle sprechen und –«
    »Aber Zeldin ist weg«, sagte ich.
    »Ich habe gerade mit ihm gesprochen, Miss Cooper.« Phelps’ Tonfall wurde strenger. »Er hat mich gebeten, Sie und die Detectives zu ihm zu bringen.«
    Ich wich zurück, als er auf mich zukam. Wir erschraken beide, als es plötzlich an der Tür klopfte.
    »Ich kümmere mich darum. Es dauert nur eine Sekunde. Wahrscheinlich hat einer der Angestellten ein Problem.« Auf dem Weg zur Tür ging Phelps an dem Tischchen neben dem Stuhl vorbei, nahm das aufgeschlagene Buch und vergewisserte sich, dass das Geld noch an seinem Platz war. Mir fielen seine großen, schwieligen Hände auf, die von der jahrelangen körperlichen Arbeit rau und rissig waren.
    Ich blieb wie angewurzelt stehen, eine Hand auf dem Regal und die andere an der Küchentür; ich wusste nicht, was ich tun sollte.
    Ich sah auf die Bücherregale, die bis zur Decke reichten. Im unteren Bereich standen Bücher über Pflanzen und Landschaftsgärtnerei, weiter oben Gedichtbände.
    Ich lauschte den Stimmen, die von draußen zu mir hereindrangen, während ich die Namen bekannter Autoren auf den Buchrücken las: Yeats, Eliot, Spender, Auden, Owen, Roethke, Thomas, Heaney. Edgar Allan Poe.
    Aurora Taits Mörder – der Mann, den Gino Guidi als Monty kannte – hatte immer einen Gedichtband in der Hosentasche gehabt. Bereits damals, so hatte uns Guidi erzählt, hatten seine Jobs Spuren an seinen Händen hinterlassen.
    Der Mann, mit dem Phelps sprach, wurde lauter. Sie stritten sich. Der Besucher fluchte auf Spanisch und entfernte sich von der Tür. Durch die hauchdünnen Vorhänge sah ich ein dunkles Kapuzensweatshirt.
    Die jugendlichen Unruhestifter. Aaron Kittredge war vor zehn Jahren am Haupteingang ebenfalls von einer Bande Jugendlicher überfallen worden, als er zu seiner Verabredung mit Zeldin hierher gekommen war. Man hatte mich am Poe Cottage überfallen, während der Rest der Bande an der Orchestermuschel für Ablenkung sorgte. Drei Kids hatten Ellen angegriffen. Vielleicht war Phelps der Rädelsführer einer Bande, der die Jugendlichen zu ihren Schandtaten entsandte. Vielleicht waren die

Weitere Kostenlose Bücher