Im Saal der Toten
Golfwagen standen. Ich sprang in einen der Wagen, drehte den Schlüssel im Zündschloss und gab Gas. Ich fuhr in östlicher Richtung und blickte mich nach Wegweisern zu den einzelnen Einfahrten um. Früher oder später müsste ich auf einen Wachmann stoßen.
Nach einigen hundert Metern gabelte sich der Weg; ein Pfeil zeigte zu den Twin Lakes, ein anderer zum Abenteuerspielplatz. Da mein Abenteuerbedarf fürs Erste gedeckt war, fuhr ich in Richtung des neuen Besucherzentrums.
Das Wegenetz war herrlich angelegt. Auf Steingärten folgten von breiten Blumenrabatten umgebene Aussichtspunkte. In der Dämmerung musste ich mitten auf der nächsten Kreuzung halten, um die Hinweisschilder zu entziffern.
Ich wählte Mikes Nummer, als ich mich der Einfahrt am Conservatory Drive näherte. »Ich kann dich nicht sehen«, sagte ich. »Siehst du die Scheinwerfer von der Karre, die ich fahre?«
»Wo zum Teufel bist du?«
»In der Nähe des Ticketschalters, mitten auf dem großen Parkplatz. Außer mir ist weit und breit niemand.«
»Das ist das falsche Tor. Komm schon, Blondie. Versuch das Haus zu finden, in dem der Rabenverein sein Büro hat. Ich bin auf der Seite. Wie kannst du bloß die Fordham Road nicht finden?«
Einhundert Hektar jungfräuliches Land mitten in der Bronx und ich hatte Mühe, den Wegweiser zu einer der größten Hauptverkehrsstraßen der Stadt zu finden.
Ich gab Gas und raste bis zur nächsten Kreuzung, wo der Azalea Way auf die Snuff Mill Road traf. Letztere, das wusste ich, führte zur Tabakmühle und zum Kutscherhaus, das von Sinclair Phelps bewohnt wurde.
Ich klappte mein Handy wieder auf. »Ich hab’s gefunden. Ich bin auf der Brücke über den Fluss. Setz dich ins Auto. Du musst ja umkommen vor Kälte. Ich hole Phelps, damit er mir hilft. Er kann einen Wächter anfunken, falls er keinen Schlüssel für das Tor hat.«
»Ich habe die Heizung angestellt. Gib Gas, Kid.«
»Ich fahr so schnell ich kann. Mercer und ich haben uns Sorgen um dich gemacht.« Dann fügte ich leise hinzu: »Du hast mir gefehlt.«
Unter mir rauschte der Fluss über die Felsen, und das Getöse des Wassers verschluckte Mikes geflüsterte Antwort.
Ich fuhr an der Tabakmühle vorbei. Es brannte kein Licht. Ich erinnerte mich, dass Sinclair Phelps’ Kutscherhaus nicht weit war, also blieb ich auf dem Weg, bis ich es vor mir sah, hielt davor an und schaltete den Motor aus.
Das frei stehende Steinhaus auf dem bewaldeten Grundstück wirkte wie ein kleines englisches Herrenhaus in den Cotswolds. Ich klopfte mehrere Male an die Hintertür und rief Phelps’ Namen, aber niemand antwortete.
Ich drehte am Türgriff. Da das Haus nicht abgesperrt war, trat ich ein und ging in die Küche. An der Wand neben dem Kühlschrank hing ein Telefon, daneben eine Liste mit Durchwahlnummern, unter denen vermutlich die Mitarbeiter und Angestellten des Gartens zu erreichen waren.
Ich wählte die Null und wartete, bis sich die Vermittlung meldete.
»Ja, Mr Phelps?«
»Ich, äh, Entschuldigung, ich bin nicht Mr Phelps. Aber ich rufe aus seinem Haus an. Würden Sie mich bitte mit dem Wachdienst verbinden?«
»Gibt es ein Problem am Kutscherhaus, Ma’am? Ich schicke sofort jemanden zu Ihnen –«
»Nein, nein. Am Tor ist ein Detective und –«
»Die Polizei ist schon da, Madam. Wir wissen von der Sache im Gewächshaus. Können Sie dranbleiben? Da kommt gerade ein Anruf auf der anderen Leitung.«
Dreißig Sekunden später war sie wieder am Apparat.
»Ich meine das Tor zur Fordham Road.«
»Ja, wir haben gerade davon gehört. Bleiben Sie, wo Sie sind. Das Sicherheitspersonal wird den Detective zu Ihnen bringen, in Ordnung?«
Ich legte auf und rief Mike von meinem Handy aus an.
»Das mit dir hat mir zu lange gedauert, Coop, also habe ich Mercer angerufen«, sagte er. »Er schickt mir ein paar Wächter, die mich abholen. Bist du irgendwo drinnen? Bleib, wo’s warm ist – ich bin in zehn Minuten bei dir.«
»Hat er dir erzählt, was passiert ist?«
»Ja. Ich weiß ja, dass dir Ellens griesgrämiges Gesicht seit Jahren auf die Nerven geht, aber musst du sie deshalb gleich in die Dornen schubsen? Ich hoffe nur, du hast dich nicht ganz verausgabt.«
»Was meinst du damit?«
»Mercer hat gesagt, dass Gino Guidi auf dem Weg hierher ist, dieses Mal ohne seinen Anwalt. Ihr Amateure müsst heute Vormittag irgendwas angestellt haben, was ihn sehr wütend gemacht hat. Er tobt vor Zorn und ist nicht zu stoppen.«
»Hilf meinem Gedächtnis auf die
Weitere Kostenlose Bücher