Im Saal der Toten
Geschworenen um ihr Urteil und verließ den Saal, damit sie sich beraten konnten.
Mercer Wallace stand am Schreibtisch des Gerichtsdieners. »Hast du deine Anklage?«
»Gib ihnen noch fünf Minuten. So einen Fall hatten wir noch nie, und deshalb werden sie länger brauchen als sonst.«
»Wir haben ein Problem am Kennedy-Flughafen. Du kannst hier bleiben und das Votum der Geschworenen abwarten oder mitkommen«, sagte er und wandte sich zum Gehen.
»Was ist –«
»Annika Jelts Eltern sind gerade gelandet. Es ist das erste8 Mal, dass sie mehr als fünfundzwanzig Meilen von ihrem Hof entfernt sind. Sie haben keine ordnungsgemäßen Papiere, also will die Einwanderungsbehörde sie nicht ins Land lassen.«
9
Wir saßen mit unseren goldenen Dienstmarken und Ausweisen in der Hand in einem verglasten Büroabteil und versuchten uns zu beruhigen, während die wütende Beamtin der Einwanderungsbehörde ihren Vorgesetzten holte.
»Stecken Sie die Hardware weg«, sagte dieser, als er zu uns kam. »Ich habe meine Vorschriften, und die breche ich für niemanden.«
Ich zeigte auf das Ehepaar mittleren Alters, das wie ein Einwandererpaar aus dem neunzehnten Jahrhundert mit versteinerten Gesichtern auf Holzklappstühlen im Korridor saß. »Ihre Tochter liegt auf der Intensivstation des New York Hospital und ringt mit dem Tod. Wir verbürgen uns schriftlich für sie und liefern sie in einer Woche wieder hier ab. Was wollen Sie denn –«
»Willkommen in Amerika nach dem elften September! Ich habe keine Ahnung, wer sie ohne die erforderlichen Papiere an Bord gelassen hat, aber hier kommen sie so nicht weiter.«
»Das schwedische Konsulat hat alles arrangiert. Ein Gesandter der amerikanischen Botschaft hat sie bis ins Flugzeug begleitet und ihnen einen Brief übergeben, den der Botschafter höchstpersönlich unterschrieben hat. Ein Captain der New Yorker Polizei hat ihm versprochen, dass die beiden hier von einem Beamten der Port Authority in Empfang genommen würden, der sich um alles Weitere kümmern würde.«
»Vielleicht kann man in Stockholm so lax mit den Vorschriften umgehen, junge Dame, aber auf diesem Flughafen habe ich das Sagen. Die Papiere, die sie vom Konsulat erhalten haben, sind veraltet.«
Mercer versuchte mich zu bremsen und übernahm in seiner ruhigen, unbeirrbaren Art das Ruder. »Wir können es auf Ihre Art machen oder so, wie es mir der Polizeipräsident gerade vorgeschlagen hat. Der Bürgermeister kommt mit dem Stadtschlüssel und einer Schar Reporter hier angerückt – entweder Sie stehen ihm dann weiterhin im Weg oder Sie drücken ausnahmsweise ein Auge zu und sorgen dafür, dass wir diese netten Leutchen mitnehmen können.«
Unser Gerangel dauerte bis nach sechs Uhr, als mit dem Schichtwechsel ein neuer Vorgesetzter den Dienst antrat. Ich hatte noch vor Feierabend den Gerichtsdiener angerufen, um mir bestätigen zu lassen, dass die Geschworenen für eine Anklage gestimmt hatten. Knapp eine Stunde später waren wir mit unseren Schützlingen, die eher ängstlich als erschöpft wirkten, auf dem Weg in die Stadt. Ihr Schulenglisch reichte aus, damit wir uns verständigen konnten, und ich erzählte ihnen, was ihrer Tochter passiert war und welch großartige Fortschritte sie machte, während Mercer durch den Midtown-Tunnel nach Manhattan fuhr.
»Lass mich an der First Avenue aussteigen. Ich treffe mich mit Mike und Andy Dorfman im Leichenschauhaus.«
Die Krankenschwestern würden uns ohnehin nicht alle in Annikas kleine Box lassen. Es war wichtiger, dass Mercer dabei war, wenn die Eltern ihre Tochter sahen. Für mich wäre es weniger stressig und aufwühlend, bei der Untersuchung des Skeletts zuzusehen. Die nackten Gebeine hatten zu wenig Ähnlichkeit mit einem Menschen, als dass ich mich damit hätte identifizieren können.
Ich war noch nie in Andys Büro im Kellergeschoss des Gerichtsmedizinischen Instituts gewesen. Der vertraute Geruch von Formalin zog durch die düsteren Gänge, in denen leere Metallbahren auf ihre leblosen Lasten warteten.
Ich musste nicht nach einer Zimmernummer suchen. Aus einer offenen Tür klang die Stimme von Alex Trebek, dem Jeopardy! -Moderator. Andy beugte sich gerade über den linken Oberschenkelknochen des Skeletts, während Mike, die Füße auf dem Tisch, im Schreibtischsessel saß, Salzbrezeln mampfte und auf einen kleinen tragbaren Fernseher auf dem Bücherregal ihm gegenüber schaute.
»Europäische Literatur. Du kommst gerade rechtzeitig.«
Normalerweise
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