Im Saal der Toten
Wahrscheinlichkeit die einzigen, die sie beantworten musste, wenn ich nichts Relevantes ausließ, was einem der Geschworenen auffiel. Auf Grund meiner Prozesserfahrung war ich zuversichtlich, dass mir das nicht passieren würde.
Zwei junge Anwälte aus meiner Abteilung hatten mich gebeten, als Zuschauer teilnehmen zu dürfen, außerdem lehnte der Gerichtsdiener an der Tür und las die Anklagepunkte, die ich heute Vormittag eingereicht hatte.
»Würden Sie den Geschworenen bitte Ihren Namen und Ihren Wohnort nennen?«
»Darra Goldswit. Ich wohne in New Jersey. Davor habe ich in Manhattan gewohnt.«
»Ich werde Sie jetzt bitten, sich an die Ereignisse des achten März zu erinnern«, sagte ich und betonte, dass ihre Vergewaltigung fast fünf Jahre zurücklag. Durch die Geschworenen ging ein Raunen. Obwohl ich ihnen erst vor ein paar Minuten eingebläut hatte, von unangemessenem Verhalten abzusehen, nickten und blinzelten sie sich mit stolzgeschwellter Brust zu; sie würden von den sechs Grand Jurys diejenige sein, welche die Schlagzeilen der nächsten Tage bestimmte.
»Wie alt sind Sie jetzt?«
»Siebenundzwanzig. Ich habe gerade meinen siebenundzwanzigsten Geburtstag gefeiert.«
»Sind Sie berufstätig?«
»Ja. Ich bin die Assistentin des PR-Managers im Madison Square Garden. Ich arbeite seit meinem Collegeabschluss vor sechs Jahren dort.« Intelligent, stabil, verantwortungsvoll – all diese Eigenschaften ließen sich in einer Berufsbezeichnung zusammenfassen. Die Prozessgeschworenen würden mehr Einzelheiten erfahren, aber für den heutigen Auftritt reichte es aus.
»Können Sie uns sagen, was Sie am Abend des achten März gemacht haben?«
»Sicher.« Ihre Hände, die sie vor sich auf dem Tisch verschränkt hatte, zitterten. »An dem Abend hatten wir eine Sonderveranstaltung, ein Benefizspiel mit Basketballprofis für einen wohltätigen Zweck. Ich musste bis nach Ende der Veranstaltung im Büro bleiben. Das war kurz nach Mitternacht.«
»Sind Sie danach allein nach Hause gefahren?«
»Nein, nein. Mein Chef bestellte einen Chauffeurdienst. Wir wurden an der Ecke 34. Straße und Eighth Avenue abgeholt.« Sie presste ihre Fingerkuppen gegeneinander. »Er war müde und wollte nach Hause – er wohnte in der Park Avenue –, also fragte er mich, ob es mir etwas ausmachen würde, an der Ecke Park Avenue und 76. Straße auszusteigen. Das war so gegen ein Uhr.«
Ich hätte mit meiner Vernehmung zeitlich an der Haustür des Opfers anfangen können, aber die Jury sollte hören, dass dieses Opfer – im Gegensatz zu einigen anderen, auf die es der Täter abgesehen hatte – nicht aus einer Bar oder von einer Party nach Hause gekommen war.
»Meine Wohnung lag zwischen der First und Second Avenue, also bin ich auf der 76. Straße in Richtung Osten gegangen.«
»Haben Sie mit jemandem gesprochen?«
»Nein, es war weit und breit keine Menschenseele zu sehen.«
»Was passierte als Nächstes?«
»Ich wohnte in einem Brownstone-Haus. Ich bin mit dem Schlüssel in der Hand die Stufen zur Eingangstür hinaufgegangen. Als ich aufschloss und die Tür öffnete, spürte ich, dass plötzlich jemand hinter mir war – urplötzlich, wie aus dem Nichts.« Sie rang nach Fassung. »Er legte mir den linken Arm um den Hals und drückte mir mit der rechten Hand etwas Spitzes in den Nacken. Ich … ich war wie versteinert. Er redete die ganze Zeit auf mich ein, ganz sanft. ›Sei ruhig, und dir passiert nichts. Ich will dir nicht wehtun. Ich will nur dein Geld.‹ Dann schob er mich ins Haus und machte die Tür hinter uns zu.«
Die Geschworenen rutschten unruhig auf ihren Sitzen hin und her und starrten Darra an. Jetzt käme der schwierigste Teil, hatte ich sie gewarnt: Dreiundzwanzig Fremden in die Augen zu sehen und ihnen von der intimsten Verletzung zu erzählen, die ein Mensch einem anderen zufügen kann.
»Was hat er als Nächstes getan, Darra?«
»Ich gab ihm meine Handtasche, aber er schubste mich zur Treppe und befahl mir nach oben zu gehen.« Sie hielt inne. »Ich weigerte mich.«
»Was hat er daraufhin getan?«
»Er sagte: ›Geh oder ich bring dich um.‹«
Sie holte tief Luft. Den meisten Geschworenen schien der Atem zu stocken.
»Er drückte mir das Messer fester in den Nacken. Ich, äh, dann gingen wir langsam die Treppe hinauf – er hatte noch immer seinen Arm um meinen Hals gelegt. Oben auf dem Treppenabsatz gab er mir meine Tasche zurück und sagte ich solle ihm meine Geldbörse zeigen, damit er mein Geld
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