Im Saal der Toten
wetteten wir um zwanzig Dollar. »Doppelt oder nichts«, sagte ich. Das war eins der wenigen Wissensgebiete, in denen ich es mit Mike aufnehmen konnte; sein Spezialgebiet war Militärgeschichte und triviales Allgemeinwissen.
»Vergiss es. Zwanzig Mäuse sind das höchste der Gefühle. Wird nicht übermütig, Kid. Machst du auch mit, Andy?«
Dorfman verneinte, während er eine Zahnbürste in eine Schale mit trübem Wasser tauchte und damit sanft die Knochen abrieb.
»Er hat die ganze Nacht durchgearbeitet«, sagte Mike. »Ein bisschen Zahnpasta, ein bisschen Seife – unser Mädchen wird im Handumdrehen wieder picobello sein.«
»Schriftsteller, der in der Schlacht von Lepanto einen Arm verlor«, las Trebek den drei Finalisten vor, die ebenso konsterniert dreinblickten wie ich.
»Diese Kategorie ist irreführend«, sagte ich. »Heute muss dein Glückstag sein. Diese Frage ist Militärgeschichte unter dem Deckmantel der Literatur.«
Mike nahm ein Polaroidfoto des Schädels, das vor ihm auf einem Stapel lag, und kritzelte seine Antwort auf die Rückseite. »Du zuerst, Coop.«
»Wer war …? Gib mir einen Anhaltspunkt, ja?« Ich wusste, dass Lepanto in Griechenland lag, aber ich hatte keine Ahnung, ob die Schlacht in der Antike oder in der Neuzeit stattgefunden hatte.
»Nein, tut mir Leid«, sagte Trebek zu dem dreifachen Champion, einem Kellner aus Oregon, der hinter den anderen beiden Kandidaten zurücklag. »Es war nicht Alexandre Dumas.«
»Die Zeit ist um«, sagte Mike und tippte mit dem Foto auf den Tisch, während er mit der anderen Hand Andys Greifzirkel drehte.
»Wer war Sophokles?«
»Äußerst lahm. Schlecht geraten.«
»Er war doch Stückeschreiber und General, oder?«
»Ja, aber er hat nie einen Körperteil verloren.« Keiner der Kandidaten wusste die richtige Antwort. »Wer ist Miguel de Cervantes? Wusstest du nicht, dass man ihn El Manco nannte, den Einarmigen? Lepanto war die erste Niederlage der Türken gegen die Christen – deren Armee vor allem aus Spaniern und Venezianern bestand. 1571. Jane Austen und diese schwermütigen Engländer, die du so gern liest, sind nie von ihrer Schaffarm runtergekommen, Coop. Heute Abend geht die Kohle an mich.«
Er streckte die Hand nach den zwanzig Dollar aus.
»Ich lad dich zum Abendessen ein. Dann sind wir quitt.«
»Geht nicht, Miss Lonelyhearts. Valerie fliegt morgen nach Kalifornien. Die ganze Familie macht anlässlich des vierzigsten Hochzeitstages ihrer Eltern einen Skiausflug, Wir essen heute Abend bei ihr zu Hause. Weißt du überhaupt, was das ist? Ein selbstgekochtes Essen?«
»Ich erinnere mich vage aus meiner Kindheit.« Meine Großmutter, die in jungen Jahren aus Finnland in die Vereinigten Staaten gekommen war, hatte viele Jahre bei uns gewohnt. Sie und meine Mutter waren hervorragende Köchinnen und zauberten jeden Tag scheinbar mühelos das herrlichste Essen auf den Tisch. Wenn mein Vater von der Klinik nach Hause kam, saßen wir höchstens eine knappe Stunde am Esstisch und danach beseitigten die Frauen die Geschirrberge. Aber irgendwie hatte ich die Vorliebe, am Herd zu stehen, nicht von ihnen geerbt.
»Andy macht große Fortschritte«, sagte Mike. »Scotty und ich waren um fünf Uhr hier. Er ist schon mal damit losgezogen.«
»Womit losgezogen?« Ich besah mir die Knochenteile und Tierskelette in den Regalen – Schlangen, ein Gürteltier und ein Antilopenschädel mit elegant geschwungenen Hörnern.
»Einer einfachen Beschreibung. Genug, damit Scotty die alten Polizeiunterlagen durchsehen und ein paar Telefonate machen kann. Erklär du’s ihr.«
Andy rieb noch immer mit der Zahnbürste am linken Beinknochen. »Es handelt sich um eine Frau – vermutlich Anfang zwanzig.«
»Woher wissen Sie das?«
»Gewöhn dich besser schon mal daran, Andy. Coop wird dir noch öfter ins Wort fallen. Sie kann nicht anders, als einen ins Kreuzverhör zu nehmen.«
»Als Erstes werden die Knochen gereinigt und anatomisch korrekt angeordnet. In dem Fall war das nicht weiter schwierig. Wenn wir ein Skelett erst nach so langer Zeit finden, sind die Einzelteile normalerweise weit verstreut oder von Tieren verschleppt worden. Dieses Skelett war eingemauert.«
»Aber wie können Sie das Alter bestimmen?«
»Unsere Knochen hören im Prinzip im fünfundzwanzigsten Lebensjahr auf zu wachsen. Bis dahin verändern und entwickeln sie sich. Danach setzt der Zerfall ein und es zeigen sich erste Anzeichen von Arthritis, Osteoporose etc. mit deren Hilfe wir
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