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Im Saal der Toten

Im Saal der Toten

Titel: Im Saal der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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das Alter schätzen können.«
    »Und in dem Fall?«
    »Sie ist höchstwahrscheinlich Anfang zwanzig. Das lässt sich am Becken und an den Rippen erkennen. Sie war ziemlich groß. Wie groß sind Sie, Alex?«
    »Eins siebenundsiebzig.«
    »Ich würde sie auf circa eins siebzig schätzen.«
    »So groß war ich schon mit sechzehn. Könnte sie ein Teenager gewesen sein?«
    Andy zeigte mit der Zahnbürste auf den Mund der Frau. »Die Zähne sind interessant. Sehen Sie das?«
    Ich ging näher ran.
    »Die Frau hatte ziemlich kostspielige Zahnreparaturen, einschließlich einer teuren Porzellankrone in einem der hinteren Backenzähne. Sehr gute Arbeit.«
    Ich konnte die sauber gearbeitete Zahnprothese im Unterkiefer sehen.
    »Aber sehen Sie sich das an.« Andy zeigte auf den Oberkiefer. »Die Zähne hier oben sind in ziemlich schlechtem Zustand.«
    »Eine seltsame Kombination, oder?«
    »Wahrscheinlich ein Mädchen aus gutem Hause, deren Eltern für die erstklassige Zahnbehandlung bezahlt haben, solange sie noch zu Hause wohnte. Die schlechten Zähne sind auch Anzeichen für andere Funktionsstörungen in ihrem Leben. Meist handelt es sich dabei um ein Abgleiten in eine Drogen- oder Alkoholsucht. Ihr Mund weist typische Spuren auf, dass sie sich nicht mehr um sich gekümmert hat und nicht mehr zum Arzt oder Zahnarzt gegangen ist, weil man dort ihren Drogenmissbrauch entdeckt hätte.«
    Erstaunlich, was diese Knochen Andy Dorfman verrieten. »Können Sie sonst noch etwas über sie sagen?«
    »Gib mir den Greifzirkel, Mike«, sagte er und beugte sich über den Tisch. »Mit Hilfe von Werkzeugen wie dem hier versuchen wir anhand der Gesichtszüge die ethnische Herkunft zu bestimmen. Die Unterschiede sind meist sehr fein – die Form der Wangenknochen, der Abstand zwischen den Augen, die Form und Breite der Nase. Dafür braucht man den Schädel, der in dem Fall glücklicherweise noch komplett ist. Ansonsten könnte ich nicht einmal eine Schätzung wagen.«
    »Und?«
    »Eine Weiße. Dessen bin ich mir sicher. Ich habe meine Berechnungen in FORDISC eingegeben –«
    »Was ist das?«
    »Die Universität von Tennessee verwaltet eine Datenbank mit Schädelabmessungen, von denen einige Tausende über hundert Jahre alt sind. Forensic Discriminant Functions . Manchmal sind die Schädelkonturen undeutlicher als hier. In dem Fall habe ich aber keine Zweifel.«
    »Also eine Weiße Anfang Zwanzig«, sagte Mike. »Möglicherweise drogen- oder alkoholabhängig. Und falls der Ring ihr gehört, sind ihre Initialen A.T.«
    »Haben Sie eine Vermutung, woran sie gestorben ist?«
    Andy ließ seinen Blick über das Skelett schweifen. »Nein. Ich war mir sicher, dass ich einen Schädelbruch finden würde. Ich hätte es mir wirklich gewünscht.«
    »Warum?«
    Er sah mich an. »Weil die Alternative ziemlich erschreckend ist.«
    »Ich kann mir auch nichts Schlimmeres vorstellen.« Ich dachte an die abgebrochenen Fingernägel, an denen noch Zement klebte.
    »Es ist eine Sache zu wissen, dass sie beispielsweise an einer Überdosis starb oder umgebracht und danach eingemauert wurde. Aber wenn sie noch am Leben war und geknebelt dabei zusah, wie sie bei lebendigem Leib eingemauert wurde – können Sie sich einen schlimmeren Tod vorstellen?«
    »Vor fünfundzwanzig Jahren, hm?«, sagte Mike. »Hoffentlich lebt der Kerl noch, der ihr das angetan hat, damit ich dabei sein kann, wenn Scotty ihm die Handschellen anlegt.«
    »Ist das alles, oder suchen Sie noch mehr Informationen?«, fragte ich.
    »Die Pathologen haben sich mit mir die Röntgenbilder und die Knochen angesehen. Sie stimmen mit mir überein, dass sie keine anderen Verletzungen hat. Aber es wird noch Monate dauern, bis wir den Totenschein ausstellen können. Ganz egal, welch geschwollenen medizinischen Fachausdruck man sich dafür einfallen lässt, wir reden hier davon, dass sie lebendig begraben wurde.«
    »Warum Monate?«, fragte Mike.
    »Ich sehe sie mir noch einmal gründlich an. Ich will noch genauer nach irgendwelchen individuellen Eigenschaften suchen, die wir mit alten Unterlagen abgleichen können.«
    »Zum Beispiel?«
    »Frühere Verletzungen, beispielsweise alte Knochenbrüche. Ich glaube, sie hat eine Fissur des Schienbeins. Wir haben eine Röntgenaufnahme davon gemacht, und ich werde sie vermessen und in allen Einzelheiten dokumentieren.«
    »Werden Sie versuchen, das Gesicht zu rekonstruieren?«, fragte ich.
    »Natürlich, und auch das dauert seine Zeit.« Zuerst würde der Computer,

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