Im Saal der Toten
zurückgezogen war.
»Wann haben Sie das letzte Mal mit Mr Tepper gesprochen?«
»Gestern Abend. Ich habe ihn angerufen. Wir hatten die letzten Jahre keinen Kontakt. Er wohnt jetzt in Arizona.«
Der Mann, der die Frage gestellt hatte, setzte sich wieder, scheinbar erleichtert, dass Henry nicht mehr Teil von Darras Leben war.
Die Geschworene Nummer elf machte noch immer heftige Handzeichen. Ich ging zu ihr, um ihre Frage zu Protokoll zu geben. »Ist es auch eine Vergewaltigung«, fragte die ältere Dame, »wenn sie sich nicht wehrt? Ich meine, schließlich hat er sie ja nicht verletzt, oder?«
Die letzten archaischen Gesetze waren vor über zwanzig Jahren endlich abgeschafft worden. Wie kam es, dass viele Leute noch immer an solchen mittelalterlichen Vorstellungen festhielten? Bis in die 1980er Jahre hinein verlangte es das Gesetz im Bundesstaat New York, dass Vergewaltigungsopfer sich aufs Äußerste zur Wehr setzten, sogar wenn sie dabei ihr Leben riskierten. Viel zu viele Frauen waren verletzt oder getötet worden, wenn der Angreifer bewaffnet oder stärker war als sie.
»Ich werde Ihnen am Schluss der Vernehmung noch die spezifischen Elemente der einzelnen Verbrechen nennen und Ihnen alle Begriffe in der Anklageschrift definieren. Dann dürfte es Ihnen klarer sein.« Ich würde dieser Schnepfe sagen, dass es eine Vergewaltigung war, wenn der sexuelle Akt durch physische Gewaltanwendung oder durch Androhung von Mord oder schweren körperlichen Verletzungen erzwungen wurde. Was konnte schlimmer sein, als mit einem Messer am Augenlid bedroht zu werden?
»Danke, Ms Goldswit. Sie dürfen jetzt den Zeugenstand verlassen.«
Der Gerichtsdiener hielt Darra die Tür auf. Mercer wartete im Zeugenzimmer auf sie und würde sie in mein Büro bringen, sie beruhigen und ihr versichern, dass sich die zwölf ungemütlichen Minuten gelohnt hätten, wenn wir den Scheißkerl kriegen.
Meine nächste Zeugin war Marie Travis, die Serologin, die das Sperma untersucht hatte, das an Darra Goldswits Körper und auf ihrem Bettlaken gewesen war.
Ich fragte sie nach ihrer Ausbildung, ihren Referenzen und ihrem Aufgabenbereich im forensischen Labor des Gerichtsmedizinischen Instituts, wo sie seit acht Jahren tätig war.
»Sie haben vor vier Jahren an dem Fall gearbeitet, den das Sonderdezernat für Sexualverbrechen als Teil des Tatmusters Nummer fünf bezeichnet?«
»Ja, das ist korrekt.«
»Ist der Fall Darra Goldswit unter einem bestimmten forensischbiologischen Aktenzeichen vermerkt?«
»Ja. Der Fall ist FB Nummer 1334.«
»Haben Sie persönlich die Tests in diesem Fall vorgenommen?«
»Ja, das habe ich.«
»Welches Beweismaterial haben Sie dazu erhalten?«
»Vaginalabstriche und Proben vom Bettlaken des Opfers. Beide testeten positiv auf Sperma.«
»Konnten Sie anhand dieser Proben ein genetisches Profil erstellen?«
»Ja, von beiden Proben.«
»Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?«
»Das DANN-Profil des Spermas aus der Vagina des Opfers war identisch mit der Probe von dem Bettlaken.«
»Haben Sie es mit anderen Profilen in Ihrer Datenbank verglichen?«
»Zum damaligen Zeitpunkt war unsere Datenbank noch sehr klein, Ms Cooper. Ich habe das Profil eingegeben, aber wir erhielten keine Treffer.«
Bei Darra handelte es sich unseres Wissens um das erste Opfer des Seidenstrumpfvergewaltigers; in ein paar Wochen würde die Tat verjähren.
»Haben Sie eine Statistikanalyse gemacht, um zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit dieses Profil in der Bevölkerung auftritt?«
»Ja. Wir wussten von der Beschreibung des Opfers, dass es sich bei dem Täter um einen Schwarzen gehandelt hat. Wir verwendeten die Wahrscheinlichkeitsrechnungen des Nationalen Forschungsrates.«
»Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, innerhalb der afroamerikanischen Bevölkerung exakt dieses Profil zu finden?«
»Dieses Profil findet sich nur einmal – ein einziges Mal – bei fünfundneunzig Milliarden Afroamerikanern. Wir könnten fünfundneunzig Milliarden Männer in einen Raum sperren, vorausgesetzt, es gäbe einen so großen Raum, und nur einer davon hätte dieses genetische Profil.«
John Doe in dieser riesigen Menge zu finden war das einzige Problem bei der Sache. Die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen.
Ich beendete meine Vernehmung der Serologin, stellte noch einmal eine Verbindung zwischen dem Laborbefund und unserem Phantomangeklagten her und verlas abschließend die Definitionen der verschiedenen Anklagepunkte. Dann bat ich die
Weitere Kostenlose Bücher