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Im Saal der Toten

Im Saal der Toten

Titel: Im Saal der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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zählen könne.«
    »Was haben Sie getan?«
    Darra wandte ihren Blick ab und sah in Richtung der Wanduhr. »Ich habe dummerweise geglaubt, dass das alles war, was er wollte.«
    »Haben Sie Ihre Geldbörse geöffnet?«
    »Entschuldigung. Ja, das habe ich.« Darra senkte den Kopf. »Er drückte mein Gesicht gegen die Wand und durchsuchte meinen Geldbeutel. Er wollte kein Geld – er hat nichts genommen. Er wollte meinen Ausweis sehen, um herauszufinden, in welchem Apartment ich wohnte. 2D – es stand schwarz auf weiß auf meinem Ausweis. Er las es mir laut vor.«
    Ich wartete, bis sie von allein weitersprach.
    »Dann zerrte er mich an den Haaren noch ein Stockwerk höher, bis vor meine Wohnung, und zwang mich, die Tür aufzusperren.«
    Vor lauter Tränen konnte sie kaum weitersprechen. Sie durchlebte die Ereignisse noch einmal und kam zum schlimmsten Moment.
    »Tief durchatmen, Darra. Wollen Sie eine kleine Pause machen?«
    »Ich will es hinter mich bringen, Ms Cooper.« Sie schüttelte den Kopf. »Er zwang mich, die Tür aufzuschließen. Ich flehte ihn an, mir nichts zu tun, aber er schlug mir mit dem Messergriff aufs Ohr. Er schloss die Tür ab und befahl mir, mich aufs Bett zu legen. Da sah er meinen Verlobten.«
    »Wo war Ihr Verlobter?«
    »Wir hatten ein Einzimmerapartment. Henry – sein Name ist Henry Tepper – Henry lag im Bett, direkt neben der Tür, und schlief.«
    »Was hat der Mann getan?«
    »Er befahl mir, mich neben das Bett zu stellen, neben Henry.« Sie sah mich an. »Dann drückte er mir das Messer ans Auge. Ungefähr so.«
    »Fürs Protokoll: Ms Goldswit drückt ihren Zeigefinger gegen ihr linkes Auge.«
    »Er hat mir die Messerspitze ins Augenlid gepresst. Dann hat er mir etwas in die Hand gedrückt. Ich konnte nicht sofort sehen, was es war, weil ich die Augen fast geschlossen hatte. Es war eine Feinstrumpfhose.«
    »Was geschah als Nächstes?« Die Bandbreite der Fragen, die man bei einer Zeugenvernehmung stellen konnte, war nicht groß.
    »Er sagte: ›Weck ihn auf.‹ Ich berührte Henry am Arm. Er wachte ganz schlaftrunken auf. Der Typ sagte ihm, dass er mir das Auge ausstechen würde, falls er sich auch nur einen Millimeter bewegte.« Darra stützte sich mit dem Ellbogen auf den Tisch und legte die Stirn in die Hand.
    »Was hat Henry –«
    »Er hat nichts getan. Er konnte nichts tun. Der Typ zwang mich, ihm die Hände auf den Rücken zu binden. Ich versuchte, es locker zu machen, aber das war egal. Sein Messer war immer an meinem Auge, also hat sich Henry nicht bewegt und keinen Ton gesagt.«
    Sie schilderte, wie der Mann ihr befahl, sich auszuziehen und neben Henry zu legen, bevor er seine Hose herunterließ und sich rittlings auf sie setzte. Das Messer war die ganze Zeit an ihrem Augenlid. Nachdem er sie vergewaltigt hatte, fesselte der Täter Darra mit einer Feinstrumpfhose und zurrte Henrys Fesseln fester. Dann riss er das Telefonkabel aus der Wand und ging.
    Es dauerte über zehn Minuten, bis sie sich gegenseitig befreit hatten und bei einer Nachbarin an die Tür schlugen, um sie zu bitten, die Polizei zu rufen.
    Darras Zeugenaussage endete mit der Untersuchung im Krankenhaus, bei der die Spermaprobe für die DANN-Analyse entnommen wurde.
    »Sind Sie bei der Vergewaltigung verletzt worden?«
    »Ich hatte von dem Messer einige Kratzer im Gesicht und am Hals. Nichts, das genäht oder behandelt werden musste.«
    »Haben Sie den Mann, der Sie vergewaltigt hat, jemals wieder gesehen?«
    »Nein.«
    »Ich danke Ihnen, Ms Goldswit. Keine weiteren Fragen. Falls es noch –«
    Ich hatte versucht, Darra mit meinen Fragen dazu zu bringen, den Vorfall klar und in sich stimmig zu schildern, damit die Geschworenen keine irrelevanten Fragen stellen würden. Offenbar war mir das nicht gelungen; zwei Hände schossen in die Höhe.
    Ich ging die Stufen hinab zu dem Geschworenen Nummer neun, der sich vorbeugte und fragte: »Was ist aus Henry geworden?«
    Henry Tepper spielte für meine Ausführungen keine wichtige Rolle, aber da er Augenzeuge – und selbst ein Opfer – der Vergewaltigung gewesen war, war es nur natürlich, dass sich die Geschworenen für ihn interessierten. Sie brauchten nicht zu wissen, dass er nicht mit den Schuldgefühlen fertig geworden war, die Vergewaltigung seiner Verlobten nicht verhindert zu haben – die Psychologen nennen so jemanden Sekundäropfer. Sie brauchten nicht zu wissen, dass er einen Monat nach der Vergewaltigung die Verlobung gelöst hatte und nach Phoenix

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