Im Schatten der Akazie
hatte den Eindruck, daß Ramses ihn als Untertan und nicht als seinesgleichen betrachtet.«
Der Hethiter sprach mit kaum verhohlener Angriffslust.
»Hat diese Unzufriedenheit alarmierende Ausmaße angenommen?« fragte Acha.
»Ich glaube schon.«
»Könnte eine so belanglose Meinungsverschiedenheit unser Abkommen in Frage stellen?«
»Die Hethiter haben ihren Stolz. Und wer den verletzt, zieht 30
sich ihren Zorn zu.«
»Ist es nicht unsinnig, eine kleine Mißhelligkeit derart aufzubauschen?«
»Für uns ist sie von großer Bedeutung.«
»Ich fürchte, jetzt begreife ich allmählich … Läßt sich darüber nicht verhandeln?«
»Nein.«
Darauf war Acha schon gefaßt gewesen. Bei Kadesch hatten die von Ramses geschlagenen Truppen der Hethiter und ihrer Bundesgenossen unter Hattuschilis Befehl gestanden. Wegen dieser Niederlage noch immer verbittert, suchte er nun irgendeinen Vorwand, um seine Überlegenheit zu zeigen.
»Willst du damit sagen, daß …«
»Daß wir so weit gehen könnten, den Vertrag aufzukündigen«, erklärte der Botschafter aus Hatti.
Da beschloß Acha, seine Geheimwaffe einzusetzen.
»Stimmen dich diese Worte vielleicht versöhnlicher?«
Er reichte dem Hethiter einen von Ramses verfaßten Brief, den der Mann, stutzig geworden, laut las: Möge es Dir, meinem Bruder Hattuschili, wohl ergehen, ebenso Deiner Gemahlin, Deiner Familie, Deinen Pferden und Deinen Provinzen. Ich habe über Deine Vorwürfe lange nachgedacht: Du glaubst, ich habe Dich wie einen meiner Untertanen behandelt, und das betrübt mich sehr. Sei gewiß, daß ich Dir alle Achtung entgegenbringe, die Deinem Rang gebührt. Wer sonst als Du herrscht über die Hethiter? Sei versichert, daß ich Dich als meinen Bruder betrachte.
Der Botschafter war augenscheinlich überrascht.
»Hat Ramses diesen Brief geschrieben?«
»Ja, ohne jeden Zweifel.«
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»Sieht der Pharao von Ägypten seinen Fehler ein?«
»Der König möchte Frieden. Und ich kann dir eine wichtige Entscheidung ankündigen: In Pi-Ramses wird ein Palast für die Fremdländer eröffnet, in dem dir und den anderen Gesandten ständig Amtsräume und fähige Schreiber zur Verfügung stehen werden. Die Hauptstadt Ägyptens wird auf diese Weise zum Mittelpunkt stetiger Gespräche mit Verbündeten und Vasallen.«
»Bemerkenswert«, gab der Hethiter zu.
»Darf ich hoffen, daß Hatti seine kriegerischen Absichten schnell fallenläßt?«
»Ich fürchte nein.«
Nun war Acha wirklich beunruhigt.
»Muß ich daraus schließen, daß nichts die gekränkten Gefühle des Königs zu beschwichtigen vermag?«
»Ich will zum Wesentlichen kommen: Auch Hattuschili wünscht den Frieden zu festigen, aber er stellt eine Bedingung.«
Der Botschafter enthüllte die wahren Absichten des hethitischen Königs, und Acha verging das Lächeln.
Wie jeden Morgen huldigten die Ritualpriester in Sethos’
herrlichem Tempel von Kurna, auf dem westlichen Ufer bei Theben, seinem Ka. Der für diese Stätte des Gedenkens Verantwortliche wollte gerade Weintrauben, Feigen und Wacholderholz als Opfergaben auf einen Altar legen, da flüsterte ihm einer seiner Untergebenen etwas ins Ohr.
»Der Pharao, hier? Aber man hat mir nichts davon gesagt!«
Als sich der Priester umwandte, erblickte er die hohe Gestalt des Herrschers, der nur mit einem schlichten Gewand aus weißem Leinen bekleidet war. Doch die Macht und die Anziehungskraft, die Ramses ausstrahlte, unterschieden ihn 32
deutlich von allen anderen an dieser Zeremonie Beteiligten.
Der Pharao ergriff das Tablett mit den Opfergaben und betrat die Kapelle, in der die Seele seines Vaters wohnte. In diesem Tempel hatte Sethos seinen jüngeren Sohn einst zum Mitregenten ernannt und damit der von Liebe und Strenge geprägten Vorbereitungszeit ein Ende gesetzt. Schon in jenem Augenblick und nicht erst an dem Tag, da dem Sohn des Lichts die zwei Kronen, »die Zauberreichen«, auf das Haupt gedrückt wurden, war sein Schicksal mit dem Schicksal Ägyptens verschmolzen.
Die Nachfolge von Sethos anzutreten war ihm damals unmöglich erschienen. Doch Ramses hatte keine andere Wahl gehabt, und seine wahre Freiheit bestand darin, die Gesetze der Maat zu befolgen und die Götter so zufriedenzustellen, daß die Menschen glücklich wurden.
Mittlerweile wandelten Sethos, Tuja und Nefertari auf den schönen Pfaden der Ewigkeit und reisten in den himmlischen Barken. Auf Erden machten ihre Tempel und Grabstätten ihre Namen unsterblich, und an ihren Ka wandten
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