Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)

Dorf. Hier lebte seit eintausendfünfhundert Zyklen das Volk der Barbs, kleinwüchsige, stämmige Wesen, die fleißig und rechtschaffend ihrer Arbeit nachgingen. Dieses Volk lebte fast autark.
    Der Grund dafür war ein wertvolles Gut, welches sie Dandoria und anderen Kontinenten und Inseln in Mythenland anboten. Sie pflückten Wareiken, was bedeutete, dass sie himmelhohe Bäume mitsamt deren Wurzelwerk aus dem Erdboden rissen. Diese Technik war nötig, damit sich die Samenkapseln der Bäume öffneten, um für Stecklinge zu sorgen. In weniger als drei Zyklen wuchsen die Wareiken nach.
    Wareikenholz war hart wie Stahl und wurde in ganz Mythenland geschätzt. Da die Barbs wenig Verständnis für Bezahlung in harter Währung hatten, sondern den Tauschhandel vorzogen, war dies insbesondere für Dandoria ein so gutes Geschäft, dass man das Volk gerne sich selbst überließ.
    Man akzeptierte, die Profite im Hinterkopf, dass die Barbs eine harmlose, bodenständige Rasse waren, die einen eigenen Lebensstil bevorzugten.
    Der Häuptling des Dorfes hieß Bob, sein Weib Bama. Bob war ein kantiger Kerl, nicht größer als vier Fuß mit Oberarmen wie Stahlrohre. Sein Weib war von ähnlicher Statur, jedoch weicher und runder. Überhaupt hatte der Begriff ‚rund‘ für die Barbs eine besondere Bedeutung, denn vieles an ihnen war so: Der Kopf, die Nase, die kleinen Augen, der Bauch und so weiter. Kraftvoll, stämmig und obenauf filzige Haare aller Schattierungen. Das Gemüt war genauso klar wie die Äußerlichkeiten. Einfach, geradeaus, dem Leben verpflichtet, in sich geschlossen wie ein Kreis.
    Wer Barbs zu seinen Freunden zählte, hatte einen Hauptgewinn erzielt. Sie waren redlich und treu – obwohl etwas einfach gestrickt, doch – bei den Göttern – wer war perfekt, nicht wahr?
    Einfach gestrickt, jedoch treu, dachte Connor, der vor sechs Tagen auf diese Insel gekommen war. Der hochgewachsene Mann mit den breiten Schultern, der schmalen Hüfte und den langen blonden Haaren hatte bei einem Piratenüberfall sein Gedächtnis verloren und sich nur mit Kraft und größtem Überlebenswillen auf die Insel retten können. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, der in die Geschichte der Barbs eingehen würde.
    Connor, der von Bob als Barbar bezeichnet wurde, wusste nicht, ob er einer war. Kämpfen konnte er, das hatte er bewiesen, doch ob er der nordischen Rasse der Berserker angehörte, lag im Dunkeln.
    Er lehnte am Kajütaufbau, die Arme vor die Brust verschränkt. Er schüttelte still den Kopf. Seine neu gewonnenen Freunde taten ihm leid. Was geschehen war, war an Grauen kaum zu überbieten.
    Drei rote Drachen hatten das Dorf angegriffen, wüteten über die Insel, töteten eine Vielzahl Barbs, suchten in den Stollen nach etwas, metzelten die Trolle, verbrannten Häuser und machten sich wieder davon.
    Dabei hatten Bob und Bama ihren kleinen Sohn Bamba verloren und Bluma, die hochintelligente Tochter des Häuptlingpaares, war entführt worden. Ob sie lebte, war ungewiss, dennoch hatte Bob die Entscheidung getroffen, seine Tochter zu suchen.
    Connors Blick streifte über Segel und Oberdeck.
    Sie befanden sich auf der Wing, einem weißen Schoner. Das wunderschöne Schiff gehörte der Amazone Lysa. Sie und ihre Mannschaft hatten Bob und Bama angeboten, sie nach Dandoria mitzunehmen. Sie selbst war auf der Suche nach einem Drachenei, von der sie angenommen hatte, es auf Fuure zu finden. Die Heilerin ihres Stammes benötigte eines, um daraus eine Medizin zu fertigen, welche die Krankheit des Amazonenstammes heilte. Lysas Stamm in Amazonia kämpfte gegen eine Seuche, die ihr Volk zu vernichten drohte.
    Es gab also eine Vielzahl Gründe, warum sie alle sich zusammengetan hatten.
    Bob und Bama suchten ihre Tochter Bluma, die von Drachen entführt worden war.
    Connor suchte seine Vergangenheit und wollte seinen Freunden helfen.
    Lysa suchte ein Drachenei.
    Und Frethmar – nun, er hatte in seiner Heimatstadt keine Freunde und seine große Klappe hatte ihm so manchen Ärger eingebracht. Seine Hoffnung, irgendwann als großer Krieger in die Analen von Gidwerg einzugehen, konnte sich nur dann erfüllen, wenn er sich gemeinsam mit den anderen auf die Reise begab. Also suchte er Abenteuer zu bestehen, bei denen er sich beweisen konnte.
    Connor legte den Kopf in den Nacken. Der Himmel war wolkenlos. Eine stete Brise blähte die Segel. Es sah aus, als versinke Fuure in der Ferne im Meer.
     
     
    Bluma erinnerte sich an ihre Panik und ihre Verzweiflung,