Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
unterschiedlich aussehen.
Von mehrköpfigen Wesen bis hin zu verwachsenen Tieren, von aufrecht gehenden Steinkreaturen bis hin zu filigranen schlangenähnlichen Wimmlern, war alles möglich. Harpyien, Federwesen, Vampire oder Aufhocker, die sich in den Rücken einsamer Wanderer krallten – es gab eine Unzahl Formen und Aufgaben. Einige waren so klein wie Insekten, damit sie sich in die Ohren ihrer Opfer setzen konnten, um diesen das Schicksal einzuflüstern, andere teilten sich und aus Einem wurden Zwei. Sie waren unsterblich und hofften doch, eines Tages erlöst zu werden.
Waren sie gut oder böse? Sie waren beides, zumindest solange sie ohne Auftrag waren.
Manche, für die ein Dämon beschworen wurde, behielten ihn dauerhaft, bis sie erkrankten und selbst zu einem wurden, bis sie starben oder als unwürdige Kreaturen über Mythenland wandelten.
Nicht wenige, die einen Dämon beschworen, wurden selbst das Opfer ihrer Tat. Schwarze Rituale konnte nur durchführen, der darin erprobt war. Nicht wenige starben bei einer Evokation, manche nur deshalb, weil sie den Verabschiedungsspruch vergessen hatten.
Sie waren Stümper und ähnlich kam ihr an diesem Tag Murgon vor, wie ein Stümper. An diesem Tag, der alles ändern sollte.
Murgon saß auf seinem Thron, sehr zufrieden und gesättigt. Soeben hatte er einer Hinrichtung beigewohnt, eine jener kleinen Spielchen, die er regelmäßig trieb, um sich seiner Macht zu vergewissern.
Ein sogenannter Schwarzer Reisender aus Mythenland, der den Weg nach Unterwelt gefunden und bewältigt hatte, hoffte, seine Neugier zu befriedigen, ohne eigenen Schutz. Ein naiver Junge, der todesmutig hergekommen war und der sein Schwert führte wie eine betrunkene Ziege, die den Ruhm sucht.
Murgon hatte seine Seher ausgeschickt, die den Jungen einfingen wie eine lästige Spinne. Sie fesselten ihn an allen Vieren und legten ihn auf den Fels. Sie pflockten ihn fest und riefen den Sanften Jack. Der zweiköpfige Mann wetzte die Klinge seines Messers an einem Ledergürtel. Zum allgemeinen Gespött der Anwesenden zerschnitt man den Jungen wie einen Pudding aus Ochsenmilch.
Die Schreie des Opfers hallten durch Unterwelt und erst nach einer unendlichen Weile, in der Gwenael sich vertiefen musste, um nicht einzuschreiten, erlosch das Leben des todesmutigen Naivlings wie ein Kerzenlicht.
Nun also wartete Murgon auf den Dämon. Er würde kommen. Sie wehrten sich nie. Wenn er rief, gehorchten sie.
Das Tor seiner Halle wurde aufgestoßen.
Murgons Wachsoldaten spritzten zur Seite und blieben mit gebrochenen Knochen liegen. Der Torrahmen war von einem Schatten erfüllt, der Gwenael, die neben Murgon stand, mit Grausen erfüllte. Ihr Bruder sprang auf und schob seine Schwester von sich weg.
»Verschwinde«, sagte er. »Du bist in Gefahr!«
Gwenael gehorchte und drückte sich zusammen mit einigen Bediensteten in den Schatten, obwohl sie kein gutes Gefühl dabei hatte. Sie kam sich wie ein Feigling vor. Der Steinboden der Halle bebte, als sich der Dämon mit weiten Schritten dem Thron näherte. Die Wände zitterten und es regnete Steinbröckchen und Staub.
»Du willst, dass ich dir folge, Dunkelelf?«, donnerte der Dämon. »Du wagst es, mich rufen zu lassen?«
Noch war er nur ein Schatten, aber bald konnte Gwenael das schwarze Wesen genauer erkennen. Mehr als zehn Fuß hoch, die breiten Schultern gebeugt, ein kantiger Schädel, aus dem zwei Hörner wuchsen. Die Haut war schwarz wie Leder, rote Feuer loderten aus seinem Maul und aus den Augen schossen weiße Blitze. Die stempelartigen Beine zuckten, der ganze Leib schien nur aus Muskeln zu bestehen. Der Schwanz peitschte und dort, wo die Spitze über den Boden wischte, sprangen Funken hoch.
Dieser Dämon, erkannte Gwenael mit bitterer Klarheit, würde es ihrem Bruder nicht leicht machen. Er gehörte zu denen, die sich nicht so einfach brechen ließen. Dieser Dämon musste eine ganz besondere Geschichte haben, was sonst sollte ihn so stark gemacht haben?
War es Hass?
Hatte er zu viel erlitten?
War seine Seele durch die Bosheit anderer gebrochen worden? Oder war er schon als Manifestation des Bösen auf die Welt gekommen? Ein Massenmörder? Ein Vergewaltiger? Jemand, den man gefürchtet hatte, als er noch über seine Menschengestalt verfügte?
Das war im Moment unwichtig.
Wichtig war, was Murgon anstellte, um seine Macht zu zeigen. Der Dunkelelf richtete seine Fingerspitzen auf den dampfenden Dämon, aus dessen Nüstern Rauchwolken
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