Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
zermalmt zu werden, von herabstürzenden Steinen oder Baumstämmen? Für Menschen war alles hier auf Dauer viel zu groß – zu gefährlich. Ein umkippender Suppentopf konnte einen Menschen tödlich verbrühen, ein sich von der Wand lösendes Messer ihn zerteilen. Es gab unendlich viele Möglichkeiten, den Tod zu finden.
Es würde sein, als nehme man einen kleinen Hund ins Haus. In den ersten Tagen schaut man genau hin, um ihn nicht zu treten. Irgendwann vergisst man es und hört das Jaulen unter seinen Füßen.
Rondrick hatte vor Augen, was mit Magus Mortimor geschehen war. Heute wusste er, dass es ein Versehen von Talus gewesen war. Das nutzte Mortimer herzlich wenig. Was von ihm übrig geblieben war, konnte man beim besten Willen nicht mehr erkennen.
Talus und Okor kehrten zurück. Talus hatte seine Keule über die Schulter gelegt. Okor trug einen Hammer bei sich.
Rondrick wurde immer nervöser. Feine kalte Finger strichen über seinen Rücken. Alles in ihm wehrte sich dagegen, seine Menschlichkeit aufzugeben. War er ein Narr? Warum tat er das? Er zauderte, zögerte, lief unruhig hin und her, lehnte sich gegen Bäume, tapste wieder zurück, irgendwohin, er wusste bald nicht mehr, wo ihm der Kopf stand. Wo, um alles in Mythenland, waren Egg und Jamus? Er brauchte sie. Wozu? Um sich bei ihnen auszuheulen? Um sich von ihnen eines Besseren belehren zu lassen?
Nein – er musste alleine entscheiden. Aber die Entscheidung war gefallen, oder?
Ja! JA!
Trotzdem bin ich ein Mensch! Ich will ein Mensch bleiben!
Niemand sprang von einer Klippe, nur weil ihm irgendwer versprach, danach unsterblich zu sein oder ein Magus zu sein oder wer weiß was. Das war doch Irrsinn. Niemand verließ sich auf vage Versprechungen, wenn es um sein Leben ging. Es musste Beweise geben. Außerdem war das alles freiwillig. Rondrick war weder angeklagt, noch verurteilt.
Doch, ich bin verurteilt!
Kann man seinen Wächtern trauen? Von einer Sekunde zur anderen lief kalter Schweiß über den König. Er brabbelte vor sich hin, suchte nach der einen großen Erleuchtung, nach irgendetwas, dass ihm die richtige Antwort gab.
Liebe!
Die Riesen liebten ihn. Genügte das, um sich auf etwas Unvorstellbares einzulassen? War Liebe so stark, dass sie alle Grenzen sprengte? Und – liebte auch er die Riesen? Einseitige Liebe mochte schmeicheln, sollte jedoch nichts entscheiden.
Oder brauchten sie ihn? War das alles? Fürchteten sie sich vor einer Niederlage gegen die Sumpfer und erhofften sich von ihm jene Hilfe, die zum Sieg führte? Sie hatten versucht, ihn mit Logik zu überzeugen. Was war mit seiner Logik? Die passte genauso. Sie forderten von ihm, dem Weg der Vernunft zu folgen. Was, wenn das ganze Ron-hier-Ron-da-Getue nur inszeniert war, um ihn auf ihre Seite zu lotsen? Konnten sie sich überhaupt anders verhalten?
Nein – die Steiner dachten, nur mit Rondrick würden sie den Kampf gegen die Sumpfer gewinnen. Also würden sie alles tun, um das Ritual zu vollziehen. Notfalls mit Gewalt! Ja, mit Gewalt! Denn das war logisch!
Der Fels unter ihm bebte. Er sah nach oben. Talus beugte sich herab. »Bist du bereit, mein Häuptling?«
Rondrick fuhr zurück. Mit einem Mal hatte er schreckliche Angst. Talus sah nicht mehr freundlich aus, sondern wie ein Fleischberg, der ihn jederzeit zwischen den Fingern zerquetschen konnte. Okor malte mit Blut, liebe Güte... mit BLUT! Alles hier war archaisch, ohne Kultur, erdverbunden wie Lehm und Schlamm und Schmutz, außerdem stanken die Riesen.
»Habe keine Furcht«, flüsterte Talus.
»Wer garantiert mir, wer garantiert mir ...«
»… ob alles gut verläuft?«
»Ja!« Rondrick nickte heftig und Schweiß spritzte von seiner Stirn.
»Wir wissen es.«
»Bei den Göttern«, schrie Rondrick. »Ständig wisst ihr alles. Ich fordere Garantien!«
»Nur wer gibt, darf fordern.«
»Geschwätz, Talus.«
Der Riese hockte sich hin. »Ich verstehe, dass du dich fürchtest. Du gibst viel auf für uns, für dein Volk. Du beendest dein Menschenleben. Du glaubst, es sei Selbstmord, doch so ist es nicht. Du steigst eine weitere Stufe empor. Du bekommst ein langes Leben geschenkt und wirst doch immer der sein, der du jetzt bist. Allerdings ...« Er grinste »... mit ein paar neuen Erfahrungen.«
Rondrick biss die Zähne zusammen.
Talus streckte seine Handfläche aus. »Darf ich?«
Rondrick kletterte auf die lederigen Finger des Riesen. Auch seine Finger würden sich bald wie Leder anfühlen. Würde er ein
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