Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
erkannte seine Tante, dass er über einen hellen Verstand verfügte und gerne mit Worten jonglierte. Obwohl sie sich ansonsten nur wenig um ihn kümmerte, gab sie seinem Drängen nach und kaufte ihm Papier und Kohle. Es war, als hätte der junge Frethmar darauf nur gewartet. Er dichtete und schrieb und las dies allen vor, die nicht schnell genug fliehen konnten. Seine literarischen Ergüsse waren grauenvoll, doch das störte Frethmar nicht. Er hielt sich für genial.
Sein junges Leben wurde durch seine große Klappe erschwert. Unwichtig, um welches Thema es ging, er hatte stets etwas dazu zu sagen. Er war der Meinung, jedermann habe auf seine Äußerungen gewartet und wer ihn nicht anhören wollte, konnte sich dem kaum entziehen.
Seine Tante nannte ihn vorlaut!
Sein Lehrer nannte ihn frühreif!
Seine Gegner nannten ihn arrogant!
Frethmar nahm kein Blatt vor den Mund, womit er sich viele Feinde machte. Genaugenommen fehlte ihm die strenge Hand eines Vaters. Nachdem er reichlich Prügel eingesteckt hatte, beschloss er, seine Muskeln zu stählen. Er ging zu einem Schmied und bat um eine Anstellung. Der Schmied betrachtete den kräftigen Körper und nickte. Frethmar schmiedete, das die Funken flogen. Er schmiedete seine eigene Axt. Also vorerst keine Gruben!
In der Kampftruppe von Trugstedt machte er eine gute Figur. Er war behände, kraftvoll und als die ersten Barthaare sprossen, gab es kaum jemanden, den er in einem Übungskampf nicht besiegt hätte.
Von nun an stolzierte er durch die Stadt wie ein Held. Er war ein Kämpfer, ein Dichter und ein Schmied. Einem wie ihm sollten die Weiber schöne Augen machen. Das geschah auch und erneut machte Frethmar sich Feinde. Das war verständlich, denn er stellte besonders jenen Weibern nach, die schon vergeben waren. Da es in Trugstedt zu bestimmten Zeiten verboten war, Waffen zu führen, warteten seine Feinde diese Zeit ab, was ihm viele blaue Flecken einbrachte.
Dennoch war es nicht mehr ganz so einfach, sich mit Frethmar anzulegen, es brauchte schon zwei oder drei, um ihm einen Denkzettel zu verpassen.
Chator, ein kluger Zwerg vom Clan der Keldorner, sagte: "Er kompensiert seinen kurzen Namen. Im Grunde ist er ein guter Zwerg. Er hat Seele. Doch leider merkt man das nicht oft!"
Ortosch, ein Heiler vom Clan der Scharfklingen, gab zurück: »Es fehlte jemand, der ihm zeigt, wo es lang geht!«
»Aber er ist ein großer Kämpfer. Es gibt kaum einen, der ihn besiegt«, gab Chato zurück.
»Er ist eine Nervensäge«, sagte Ortax, Sohn von Schorgrim Ledersohle. »Andauernd nötigt er einen, seine sogenannten Gedichte zu hören. Sie sind schlecht! Aus ihm wird nie ein Odensänger.«
Chator lachte. »Man sagt, er wolle eine Ode derer von Stonebrock schreiben.«
»Also versucht er seinen Namen auf diese Art zu polieren. Gar nicht dumm, unser Fret«, sagte Ortosch.
»Wir sollten seine Fähigkeiten fördern«, sagte Chator.
»Und wie? Sollen wir ihm Papier und Federkiel schenken?«, fragte Ortax.
»Er sollte für eine Woche in die Halle der Ahnen gehen«, stellte Chator fest.
Seine Gesprächspartner erbleichten unter den Bärten.
Ortax räusperte sich. »Das wird ihn umbringen. Eine Woche in der Halle hält kaum ein erwachsener Zwerg aus.«
Chator grinste. »Wenn er es übersteht, wird er ein für allemal seine bartlose Zeit hinter sich lassen.«
Was nichts anderes bedeutete, als das Frethmar danach der Mund gestopft war, weil er den Rest seines Lebens damit zu tun hatte, das Erlebte zu verarbeiten.
Heiler Ortosch meinte: »Ist das fair? Frethmar ist noch zu jung.«
Chator schüttelte den Kopf. »Er ist etwas besonderes. Ich traue ihm zu, dass er die Woche übersteht. Danach werden wir sehen, was die Halle aus ihm gemacht hat und überlegen, wie wir mit ihm verfahren. Entweder wir schicken ihn in die Gruben…«
»Warum das?«, unterbrach Ortosch. »Er ist genauso gut in der Lage, Uhrwerke herzustellen.«
Chator zuckte die Achseln. »Das ist ja das Problem. Er kann alles und nichts. Nun wird es Zeit, herauszufinden, wo seine wirklichen Stärken liegen.«
Ortax fügte hinzu: »Ein kluger Plan, Freund Chator. So sei es. Außerdem sind wir sein großes Mundwerk dann für eine Woche los und seine Tante kann sich von ihm erholen.«
So wurde es gemacht.
So begann Frethmars erstes Abenteuer.
Frethmar sah sich in der Halle der Ahnen um.
Er trug eine kleine Axt und einen Hammer. Um seinen Lederwams hing ein Wasserschlauch und eine Tasche mit Proviant, sehr
Weitere Kostenlose Bücher