Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
einen anderen, Älteren getötet hatte. Feiniel hatte Vatermord begangen, was das schlimmste Verbrechen darstellte, welches man sich denken konnte. Hatte er sie, Katraana, so geliebt, dass er nicht anders handeln konnte?
Warum wusste sie über alles das nichts?
Ihre Lehrer hatten sie beeinflusst, hatten ihren Geist verdreht. Sie hatte nie nach einem Vater gefragt und erkannte im selben Moment, wie absurd das war. Wie konnte es ihren Lehrern gelingen, diese Frage aus ihrem Hirn zu streichen und warum war sie nie von anderen danach gefragt worden? Bei den Göttern, sie hatte in einer Luftblase gelebt, die nur dafür geschaffen worden war, damit sie eines Tages dem Lord von Unterwelt gegenüber stand. Was niemand vermutet hatte, war, dass sie mit Gwenael in Kontakt geblieben war, diese von ihren Plänen erfahren hatte, und ihrem Bruder mitteilte. So hätte Murgon sich wappnen können. Hätte er sie töten wollen, hätte er es getan. Sie hätte keine fünf Herzschläge in Unterwelt überlebt.
Doch er hatte es nicht getan.
DENN ER KANN SEINE TOCHTER NICHT TÖTEN!
Mit dieser Sichtweise hatten ihre Lehrer recht behalten.
Selbstverständlich kannte sie die Geschichten von Feiniel und seiner Grausamkeit, doch sie hatte nie erfahren, wie grausam dessen Familie gewesen war, abgesehen von Gwenael. Konnten Elfen so sein? Dumm, ignorant und böse? Wenn sie Murgons Worten Glauben schenkte: Ja!
Wäre sie nichts anderes als eine Feindin, würde Murgon sich mit ihr nicht abgeben. Nicht gemeinsam mit ihr speisen und Dinge aus seiner Vergangenheit berichten, die ihm Schmerzen bereiteten. Das hatte sie gespürt. Zu oft hatte seine Stimme gebebt und seine Lippen gezittert. Zu oft hatte er seinen unverhohlenen Hass unterdrücken müssen und sich auf seinen Gast besonnen.
War er jemand, der vor der dunklen Welt in die Dunkelheit geflohen war oder handelte es sich bei ihm tatsächlich um jenen Psychopaten, als der er in Solituúde dargestellt wurde?
Handelte es sich auch dabei wieder nur um Gerüchte oder gestreute Unwahrheiten?
In Katraanas Kopf drehte sich alles und sie rieb sich die Augen. Es wäre schön, Gwenael wäre hier. Ihre letzte Mentalreise miteinander war unbefriedigend verlaufen und sie hatten sich im Streit getrennt.
»Wie fühlst du dich, seitdem du die Wahrheit kennst?«, wollte Murgon wissen.
»Verwirrt, traurig und wütend«, gestand sie.
»Horche in dich hinein und fühle deine Wut. Schaue hin und berichte mir ...« Er sprach mit ruhiger Stimme, wie ein – wie ein – VATER!
Sie gehorchte und schloss die Augen.
Sofort sprang sie eine Raubkatze an, in Form von unbändigem Zorn. Ihr ganzer Körper bebte und sie war kurz davor, aufzuspringen, ihr Schwert zu greifen und um sich zu schlagen.
»Greife deinen Zorn, beherrsche und bündele ihn«, sagte Murgon leise.
Sie versuchte es und tatsächlich gelang es ihr. Ihr Zorn war nun wie ein ... Gegenstand, eine formbare Masse, ein Dämon mit düsterer Fratze, der in ihr hauste und darauf wartete, befreit zu werden.
Sie riss die Augen auf und starrte Murgon schwer atmend an. Sie wollte etwas sagen, doch er kam ihr zuvor.
»Wie viele hast du getötet, bis du bei der Festung warst?«
»Zu viele.«
»Hat es dir Vergnügen bereitet?«
»Sollte töten Vergnügen bereiten?«
»Wurdest du angegriffen?«
Sie überlegte und kam zu dem Schluss, die Wahrheit zu sagen. »Nein.«
»Warum hast du es getan?« Er beugte sich vor und stützte sich auf die Tischplatte. Sein Gesicht war ihrem sehr nahe und seine Augen drangen direkt bis in ihre Seele. Sie versuchte Reißaus zu nehmen, wie das Mädchen, welches sie einst gewesen war, doch hier gab es keine Höhle, in der sie sich verstecken konnte.
»Ich weiß es nicht ...«, murmelte sie.
»Dann denke nach!«
Der Dämon, den sie soeben gefügig gemacht hatte, kratzte gegen ihr Innerstes, als begehre er die Freiheit. »Vielleicht – vielleicht ... bei den Göttern, ich weiß es nicht ...«
Ihr Kopf sank nach vorne auf ihre Unterarme. Sie blickte auf und sagte: »Ich bin müde. Ich bin so müde.«
»Dann gehe und schlafe.«
»Wie könnte ich das, jetzt, nachdem ich so viel weiß?«
»Entscheide dich, Tochter. Ich selbst schlafe kaum. Nur ein waches Hirn ist ein gutes Hirn. Der Schlaf ist ein Bild des Todes!«
»Dann sage mir, worauf du hinaus willst ...«, flüsterte sie.
»Das weißt du genau. Denn du bist von meinem Blut und dem einer wunderbaren Frau, die sich tötete, weil man sie belog und verstieß. Verstieß,
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