Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)

musste man den Kasten mit einem Meißel bearbeiten und den Deckel zerstören. Da auf diese Idee niemals jemand käme, war es ein fast perfektes Rätsel.
    Den dann aus vielen kleinen Teilen zusammengeklebten Schlüssel führte man in das dadurch entstandene Schlüsselloch und die Kiste würde sich ruckzuck-Deckel-auf öffnen.
    Die Lösung war simpel.
    Viel zu einfach für Bluma.
    Was blieb, war Jack. Er stand vor ihr, seine Köpfe schwankten von links nach rechts wie bei einem hungrigen Crocker und Speichel lief ihm aus beiden Mündern.
    »Was bist du?«, zischte er mit heller Stimme. »Verdammtes Kind, was bist du?«
    »Ich bin Bluma, die Tochter von ...«
    »Hör mit dem Unsinn auf!«, zeterte Jack. »Warum bist du nicht bewusstlos? Warum widerstehst du meiner Folter? Warum schreist du nicht und bittest mich nicht darum, endlich aufzuhören?«
    Ja, warum eigentlich nicht?
    Ihr Körper schmerzte, ihre Haut brannte, und wenn sie sich auf die Gegenwart konzentrierte, hätte sie heulen können wie ein kleines Kind. In ihrem Inneren pochte es, als würden Trolle Erz bearbeiten, ihre Fußnägel und Fingerspitzen jaulten, als würden sie in Flammen gehalten. Dennoch gelang es ihr, den Sanften Jack mit aufrechtem Blick zu mustern, sogar ein Lächeln rang sie sich ab.
    »Was wird dein Lord mit dir machen, wenn du ihm erzählst, dass du erneut versagt hast?«
    Der Sanfte Jack beugte sich hinab und kam ihr so nahe, dass sie seinen faulen Atem riechen konnte. Mit leiser Stimme zischelte er: »Habe ich versagt? Oder hast du viel schneller reagiert, als ich dachte? Hattest du eine Vision?«
    »Wie kommst du darauf?«, fuhr Bama ihn an.
    Er hob die Schultern. »Nun, es könnte ja sein, dass deine Verinnerlichung und deine Demut sehr schnell zu locken waren. Deinen Stolz hast du nicht verloren, aber ...«
    »Leck mich!«, spuckte sie ihn an. »Du hast versagt, Jack. Du wirst mich niemals unterwerfen.«
    Sie wusste, dass sie töricht handelte und ihn reizte, was dazu führen konnte, dass er seine Optionen an ihr ausprobierte. Aber sie musste den seelischen Überdruck loswerden. Sie schrie ihn an, schimpfte und wandte sich in den Fesseln. Als habe sie eine Schleuse geöffnet, kam alles auf einmal. Die Trauer um ihre Leute, die Angst, die sie durchlitt, das grausige Geschehen der Vision, die Folter, die Einsamkeit und Jack. Alles das war abstoßend, bizarr und unerträglich. Sie zischte und spuckte, brüllte und keifte, sie schimpfte in Worten, die sie nie benutzt hatte und als ihr Kopf erschöpft auf ihre Brust sank und Schweiß über ihren ganzen Körper lief, waren die Schmerzen verschwunden und mit ihnen jede Angst.
    Sie fühlte sich leer.
    Völlig leer.
    Der Sanfte Jack kratzte sich den linken Kopf und grinste beifällig. Er schloss seinen Holzkoffer und sagte: »Bei den Göttern, ich habe nicht versagt. Das hätte ich nicht ertragen. Ich habe nicht versagt ...« Seine Augen schimmerten feucht, er hob das Maguslicht auf, drehte sich zur Zellentür und hämmerte mit dem Fuß dagegen.
    Das Hämmern wurde lauter und lauter.
    Ketten prasselten, es pochte und krachte.
    Der Sanfte Jack sprang zurück. Er war es nicht gewesen. Sein Fuß hatte nur zweimal gegen die Tür geschlagen. Woher kam der Lärm? Draußen im Gang ertönten leise Schreie, gurgelnde Laute, knirschende Geräusche, die Zellenwand bebte und Sand rieselte aus Steinfugen. Die Tür wurde nach innen geschlagen und begrub den Sanften Jack unter sich. Der Zweiköpfige quiekte, seine unter der massiven Tür herausragenden Hände zuckten, dann erlahmten seine Bewegungen. Das Maguslicht erlosch, aber der Gang war mit Fackellicht beschienen. Etwas füllte den Türrahmen aus. Ein riesiger Schatten, der sich bückte, seinen Schädel in die Zelle schob, eine Schulter, ein Bein, dann die andere Schulter, ein Bein und den Rest des Körpers.
    Stinkend, qualmend, rabenschwarz und mächtig stand in gebückter Haltung ein Wesen vor Bluma, wie sie es in ihren dunkelsten Alpträumen nicht gesehen hatte. Aus dem Schädel ragten zwei Hörner, seine roten Augen funkelten wie Öllampen und aus dem riesigen Maul drangen Laute, die so grausig waren, dass Bluma in Ohmmacht fiel.
     
     
     
     
     
     

10. Kapitel
     
    Connor fühlte sich so wohl wie lange nicht mehr – nahm er jedenfalls an, denn erinnern konnte er sich nicht. Das Einzige, woran er sich erinnerte, war der Piratenüberfall, der Angriff des Margolous und die Vision, die ihn heimgesucht hatte, während der Kampf stattfand. Ein